Bundeskanzler Kurz hielt am Freitag eine eilig einberufene Pressekonferenz, um schwere Vorwürfe gegen die EU zu erheben. An den Fakten haperte es allerdings. Er hätte wohl einfach Clemens Martin Auer fragen können.
Wien, 12. März 2021 | Die Impfdosen in der EU werden unterschiedlich verteilt. Weil einzelne Länder auf Teillieferungen bestimmter Impfstoffe verzichteten, gibt es Abweichungen vom Verhältnis zwischen Bevölkerungsgröße und gelieferten Impfstoffen. Die Kontrolle über die Verteilung liegt beim sogenannten Steering Board der EU. Dort habe eine Art “Basar” geherrscht, wo zusätzliche Abmachungen zwischen Mitgliedsstaaten und Pharmaunternehmen getroffen worden sein sollen, sagt Kurz. Österreich ist in diesem Gremium mit Clemens Martin Auer, dem Sonderbeauftragten des österreichischen Gesundheitsministeriums, hochrangig vertreten. Auer ist stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe.
Hat Kurz Auer nach Verteilung gefragt? “Nein”, sagt der Kanzler – das habe nur Vizekanzler Werner Kogler getan. “Ich weiß nicht, wer die Verträge unterschrieben hat”, sowie warum in dem Board “anscheinend andere Vereinbarungen getroffen worden sind”, sagte Kurz. Es müsse “aufgeklärt werden, wie die Verträge im Steering Board aussehen”. Er ergänzte, dass es schwierig sei an Informationen heranzukommen, “da alle Mitglieder Geheimhaltungsvereinbarungen unterschrieben haben”. Allerdings ist eben auch Österreich Mitglied und hat selbst unterschrieben. Österreich hat übrigens derzeit keine Nachteile, sondern liegt im Schnitt der Impfstofflieferungen. Verzögerungen beim Impfen im Vergleich mit EU-Staaten wie Dänemark, die wesentlich schneller sind, haben mit den Impfstofflieferungen nichts zu tun.
Vergangene Woche flog Kanzler Kurz gemeinsam mit seiner dänischen Amtskollegin Mette Frederiksen zum israelischen Staatschef Benjamin Netanjahu, um sich um über eine eigene Impfstoff-Produktion schlau zu machen. Konkrete Schritte in diese Richtung setzte Österreich bisher jedoch nicht.
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Seit zwei Monaten bekannt, dass anderer Schlüssel in EU herrscht
Bundeskanzler Kurz bezeichnete die Verschiebungen im Impfstoffschlüssel als „überraschende Nachricht“. Tatsächlich ist sie aber seit etwa zwei Monaten öffentlich bekannt. Im Jänner meldete das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel, dass einige Mitgliedstaaten freiwillig auf Impfdosen von Pfizer und Moderna verzichteten würden, wodurch andere Staaten diese bekämen. Ebenfalls im Jänner meldete das Nachrichtenportal des deutschen Kommunikationsriesen T-Online: „Zunächst war vorgesehen, dass die von der EU bestellten Impfdosen je nach Bevölkerungsgröße auf die Länder verteilt werden. Demnach stünden der Bundesrepublik 18,6 Prozent der EU-Dosen zu. Insgesamt sollen 160 Millionen Dosen für die EU von Moderna kommen, das entspräche dem Bericht zufolge 30 Millionen. Stattdessen erhält Deutschland nun 50,5 Millionen Dosen.“ Der Verteilungsschlüssel verschob sich dadurch.
Auch die EU-Kommission stellte klar: Die EU-Staaten könnten sich im Steering Board für mehr oder weniger Impfstoffe entscheiden. “In diesem Kontext ist ein neuer Verteilungsschlüssel möglich”, sagte ein EU-Kommissionssprecher in Brüssel. So könnten die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie von Lieferungen ein “Opt-out” in Anspruch nehmen, sagte der Kommissionssprecher. Der Steuerungsausschuss mit Gesundheitsbeamten der Mitgliedstaaten sei wichtig bei der Umsetzung der Verträge. Entscheidungen im Board würden aber zwischen den EU-Staaten und der EU-Kommission gemeinsam vereinbart.
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Kritik von Oppositon
Von der Opposition kommt Kritik am Kanzler-Auftritt. Der Kanzler versuche “auf unwürdige Art und Weise, Sündenböcke für sein Versagen zu finden”, meinte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kritisierten, dass Österreich “womöglich” selbst Impfstoff ausgeschlagen habe. Meinl-Reisinger konstatierte auf Twitter: “Leadership eine Katastrophe. Und jetzt? Ablenkung”. NEOS-Klubobmann und Gesundheitssprecher Gerald Loacker fragte, warum der Sonderbeauftragte des Gesundheitsministeriums, Clemens Martin Auer, in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe (“Steering Board”) der ungleichen Verteilung überhaupt zustimmte. Loacker kritisierte außerdem, dass Kurz davon nichts wusste, wie dieser zuvor selbst vor Journalisten erklärte. Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte auf Twitter: “Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der ‘Impfstoff Benachteiligung Österreichs’ Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des ‘Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses’ hinaus?”.
(bf)
Titelbild: APA Picturedesk