Dringliche an Kanzler wegen Schulsperre
Überlastung in den Kinder- und Jugendpsychiatrien durch Schulsperren und Lockdown, doch Kanzler Kurz hält an der Maßnahme fest. In einer dringlichen Anfrage im Bundesrat am Donnerstag musste er sich dazu erklären. Den FPÖ-Antrag für eine Schulöffnung unterstützten die NEOS. Türkis, Grün und Rot lehnten ab.
Wien, 29. Jänner 2021 | Kaum ein Thema wird in der aktuellen Corona-Bekämpfung so emotional debattiert, wie die Sperre der Schulen. Am Donnerstag zitierte die FPÖ Kanzler Kurz in den Bundesrat. Er sollte eine Erklärung abgeben, auf welcher Grundlage er die Schulschließungen für nötig erachtet. Einen FPÖ-Antrag für eine sofortige Öffnung unterstützten die NEOS, wurde aber von ÖVP, Grünen und SPÖ abgelehnt.
“Kinder genauso ansteckend”
Die 29 Fragen der dringlichen Anfrage beantwortete der Kanzler typisch süffisant. Offenbar seien zu manchen Bundesratsmitgliedern „nicht alle Informationen durchgedrungen.“ Über Zwischenrufe zeigte er sich verärgert: „Schön langsam erspare ich mir die Übung.“ Er verteidigte seine Entscheidung der Schulschließungen. Denn dadurch würden „Omas und Opas überleben“, Kinder seien „genauso ansteckend“ wie Erwachsene.
Immer wieder warf er der FPÖ vor, so zu tun, als würde ihm “das Freude” machen, Lockdowns zu verhängen. Wenn die Masse geimpft wurde, wenn es die Maßnahmen nicht mehr gebe, sei der Kanzler gespannt, „was sie mir dann vorwerfen.“ Die Frage beantwortete er dann nicht im Detail und äußerst zügig.
Kinderambulanzen überlastet
Indes zeigen sich langsam die Auswirkungen der Schulsperren auf die Kinder. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie am Wiener AKH ist komplett voll. Erkrankte Kinder bekommen nur noch einen Platz auf der Warteliste. Auch in Niederösterreich seien diese Stationen am Anschlag, wie ein Leiter eines Kriseninterventionszentrums in Niederösterreich auf Twitter schildert. Depressionen, Suizidgedanken und Essstörungen würden sich aktuell enorm verschärfen, sagt Prof. Andreas Karwautz, Leiter der Ambulanz für Essstörungen im Kindes- und Jugendalter am Wiener AKH, gegenüber “Heute”.
Er meint, dass man die psychischen Schäden durch die Schulsperren bisher massiv unterschätzt habe. Fehlende soziale Kontakte und kaum Freiräume setze den Kindern massiv zu. Zudem zeige sich die Dimension der sozialen Krise. “Manche sind privilegiert und haben ihr eigenes Zimmer, viele aber nicht. Sie sitzen zu Hause neben ihren Eltern, die sich gleichzeitig im Home Office befinden.”
Viele Jugendliche seien aktuell am Limit, eine Vielzahl entwickle Ticks und Zwänge. “Die Kinder flehen inzwischen sogar: ‘Bitte darf ich wieder in die Schule gehen.’ Wann gab es so etwas zuletzt?”, fragt Karwautz.
Eindeutige Faktenlage?
Kurz erklärte während der Beantwortung der Anfrage, dass „die Wissenschaft“ bereits geklärt habe, dass Schulschließungen eine massive Wirkung zeigen würden. Vergleicht man aber Länder, die hart durchgegriffen haben mit Ländern, die es eher locker nahmen, zeigen die Zahlen diese eindeutige Wirkung nicht.
https://twitter.com/DrEliDavid/status/1354787019185119232
Das zeigt etwa der Vergleich des israelischen Tech-Experten Eli David zwischen Israel und Schweden. Israel griff ähnlich hart durch wie Österreich, erlebte im Herbst und im Winter aber weit mehr Coronatreiben als Schweden. Auch in Schweden gehen die Zahlen, ähnlich wie in Österreich, wieder zurück.
Gegen die sofortige Öffnung der Schulen nach den Semesterferien stemmte sich die Regierung dennoch. Ein entsprechender FPÖ-Entschließungsantrag wurde von der türkis-grünen Regierung mit SPÖ-Unterstützung abgelehnt. Die NEOS unterstützten die freiheitliche Forderung. Die Liberalen wünschen sich allerdings eine differenzierte Bewertung der Rahmenbedingungen je nach Schulstufe.
(ot)
Titelbild: APA Picturedesk