Streit um Tina:
Die Aufregung um die Abschiebung von drei Mädchen und ihren Müttern dauert an. Bei der Auflösung einer Kundgebung verhöhnten Polizisten weinende Schüler. ÖVP-Klubchef August Wöginger attackiert den Bundespräsidenten scharf.
Wien, 29. Jänner 2021 | Trotz strömenden Regens versammelten sich Donnerstagabend rund 1.000 Demonstranten in der Wiener Innenstadt. Sie protestierten gegen die Abschiebung mehrerer Familien am frühen Morgen – ZackZack berichtete.
Polizisten verhöhnten weinende Schüler
Die Wut der Menschen richtete sich vor allem gegen die ÖVP und den zuständigen Innenminister Karl Nehammer. “Doch wir sind auch wegen der Grünen hier”, sagten Demonstranten. Die Enttäuschung über die Asylpolitik der türkis-grünen Regierung ist groß. Obwohl SPÖ-nahe Organisationen zu der Kundgebung aufgerufen hatten, gab es auch Kritik an der Asylgesetzgebung der Vergangenheit unter roter Beteiligung. Die Ereignisse seien eine Mahnung “es in Zukunft besser zu machen.”
Eine kleine Kundgebung vor dem Abschiebezentrum in der Wiener Zinnergasse hatten zweihundert Polizisten, darunter WEGA-Beamte mit scharfen Hunden, brutal aufgelöst. Augenzeugen berichten, dass die Beamten dabei weinende Schulkameraden der abgeschobenen Mädchen verhöhnt hätten: Polizisten hätten die Kinder lachend aufgefordert, noch ein letztes Mal zu winken.
Wöginger gegen Van der Bellen
Ebenfalls am Donnerstag meldete sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Wort. “Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist.” sagte der Präsident in einer Ansprache. Er sei von den Geschehnissen der vorangegangenen Nacht “tief betroffen”.
ÖVP-Klubchef August Wöginger wies daraufhin den Bundespräsidenten scharf zurecht. Er warf Van der Bellen vor, die “Unabhängigkeit der Justiz” nicht zu “respektieren”. “Wir alle müssen anerkennen, dass Behörden verpflichtet sind, rechtskräftige Entscheidungen von Gerichten zu vollziehen.”, sagte Wöginger.
Opposition: “Menschenrechtswidrige Fehlentscheidung”
Dieser Darstellung widersprachen zahlreiche Juristen sowie die Opposition. NEOS-Abgeordnete und Menschenrechtsjuristin Steffi Krisper: „Kein Gesetz der Welt hat den Innenminister zur Abschiebung gezwungen. Das war allein seine willkürliche und menschenrechtswidrige Fehlentscheidung.“
Auch der Bundespräsident hatte zuvor mit der Abwägung unterschiedlicher Rechte argumentiert. “Was ist mit den Kinderrechten?”, fragte Van der Bellen.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hält die Äußerungen Wögingers für “ungeheuerlich”. Sie forderte den ÖVP-Klubchef auf, sich beim Bundespräsidenten zu entschuldigen.
Politisches Kalkül hinter Abschiebungen?
Mehrere Landeshauptleute von ÖVP und SPÖ sprachen sich anlässlich des Abschiebedramas für eine Rückkehr zu einem humanitären Bleiberecht aus, das von Bezirkshauptleuten und Ländern ausgesprochen werden kann.
Die grüne Infrastrukturministerin Leonore Gewessler vermutet finstere Motive hinter der Abschiebung. In “Vorarlberg Live” sagte Gewessler über ihren Koalitionsparnter: “Einige in der ÖVP sind offenbar davon überzeugt, dass es diese Bilder braucht, um gewählt zu werden.”
Zuvor hatten Kommunikationsexperten vermutet, die ÖVP würde den Konflikt um die Abschiebung nutzen, um von den brisanten Enthüllungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses und dem Versagen des Innenministeriums bei der Terrorabwehr abzulenken.
(tw)
Titelbild: APA Picturedesk