Justizreform: ÖVP will Pressefreiheit einschränken
Der Druck auf Kanzler Kurz und seine Vertrauten steigt. Immer mehr Details über ihre Verstrickung in Korruptionsaffären kommen ans Tageslicht. Nun will die ÖVP Medien verbieten, aus Ermittlungsakten zu zitieren. Leitartikel von
Thomas Walach
Wien, 24. Februar 2021 | Im 19. Jahrhundert hatten regierungskritische Zeitungen sogenannte Sitzredakteure. Das waren Leute, die im Redaktionsbetrieb nicht unbedingt gebraucht wurden, aber offiziell als Chefredakteure firmierten. Schlug die Zensur zu, gingen sie, und nicht die eigentlich Verantwortlichen, ins Gefängnis, also „sitzten“. Könnte sein, dass wir diese Einrichtung bald wieder brauchen werden.
Wie der „Kurier“ am Montagabend berichtete, plant die ÖVP im Zuge einer Justizreform einen einschneidenden Eingriff in die Pressefreiheit. Sie will, dass es illegal wird, aus Ermittlungsakten zu zitieren. Dieses Zensurgesetz hätten sie auch gleich „Lex ZackZack“ nennen können, denn schließlich tun wir genau das seit über einem Jahr ohne Unterlass: Aus Ermittlungsakten zitieren, die zeigen, wie tief die ÖVP in Korruption verstrickt ist.
Das geht uns alle an
Bisher konnte der Kanzler dagegen nichts unternehmen, außer „fuchsteufelswild wegen ZackZack“ zu sein (W. Fellner), denn noch ist Investigativrecherche legal. Dass der „Kurier“ den ÖVP-Spin von „Leaks“, die verboten werden sollen, volley übernimmt, überrascht nicht. Dass kein Aufschrei des Entsetzens durch den Rest der Medienlandschaft geht, hingegen schon. Diese Sache, Freunde, geht uns alle an.
Die Orbanisierung ist nun politische Wirklichkeit und keine entfernte Möglichkeit mehr. Wen wird es zuerst treffen? Große Zeitungen können sich die Geldstrafen leisten. Nur die Redakteure von Nachrichtenmagazinen wie uns werden die Strafen absitzen müssen. Doch es wäre naiv zu glauben, dass Zensurgesetzgebung, einmal begonnen, dort Halt macht.
Die ÖVP wird argumentieren, dass auch in Deutschland verboten ist, aus Ermittlungsakten zu zitieren. In Deutschland sind aber die Spitzen der Politik nicht andauernd in Strafverfahren verwickelt.
Dieser Weg hat erst begonnen
Die Gefahr des Autoritarismus ist real. Er kommt nicht über Nacht. Er schleicht sich mit ganz kleinen Schritten an. Das Ende der Demokratie beginnt fast immer mit Angriffen auf Medien und die unabhängige Justiz. Wir müssen deshalb jetzt aufpassen wie die Haftlmacher.
„Unser Weg hat erst begonnen“, das ließ Kurz 2019 plakatieren. Nur Monate später kündigte seine Vertraute Antonella Mei-Pochtler bereits an, wir müssten uns an Maßnahmen „am Rande des demokratischen Modells“ gewöhnen.
Sollte das Zensurgesetz wirklich kommen, sind wir in Österreich ein großes Stück weiter auf dem Weg raus aus der Demokratie. Aber glaubt die ÖVP ernsthaft, wir ließen uns von der Zensur abhalten, über Fakten zu berichten? Natürlich nicht. Für dieses Recht gehen wir notfalls sitzen.
Titelbild: APA Picturedesk