Kommentar
Ben Weiser gelang eine herausragende Investigativrecherche. Für den Kanzler ist sie unangenehm. Österreichs Medien verschwiegen sie, bis das internationale Medienecho zu laut wurde. Kommentar von
Thomas Walach
Wien, 20. März 2021 | Kanzler Sebastian Kurz lässt gerne Fotos von sich in der Economy-Class machen. Wenn er – was laut Kanzleramt ein “absolut üblicher Standardvorgang” ist, im Privatjet fliegt, wird das nicht abgelichtet.
Bei seiner letzten Israelreise, deren Zweck völlig unklar ist (hat der Kanzler kein Skype? Das geht auch am Handy, falls er nicht weiß, ob er einen Laptop hat), nutzte Kurz einen ganz besonderen Jet.
In den USA gesucht, in Wien bestens untergebracht
Er gehört Dmytro Firtasch, einem Kreml-nahen ukrainischen Oligarchen. Firtasch wird von den USA per internationalem Haftbefehl gesucht, sein Auslieferungsverfahren in Österreich zieht sich hin. Einstweilen lebt Firtasch in der Wiener Villa von ÖVP-Großspender Alexander Schütz.
Wenn er seinen Jet selbst nicht nutzt, kann man ihn über eine Betreiberfirma mieten. Das tat das Bundeskanzleramt. Abgesehen von der Frage, warum die Republik mit Firtasch Geschäfte machen sollte: Spielen Sicherheitsfragen überhaupt keine Rolle? Laut FBI ist Firtasch ein hochrangiges Mitglied der russischen Mafia. (Dokumente dazu veröffentlichte der “Semiosisblog”.) Macht sich das Kanzleramt keine Sorgen, dass Kurz abgehört und allenfalls erpresst werden könnte? Hat das BVT nicht wenigstens versucht, eine Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen? Das Bundeskriminalamt hat die Aktivitäten Firtaschs jedenfalls auf dem Schirm.
Das alles herauszufinden, war äußerst schwierig. Keine wichtige Information dazu ist öffentlich verfügbar. Ben Weiser wühlte sich durch US-amerikanische Ermittlungsakten, entwirrte Teile von Firtaschs Firmennetzwerk, besorgte sich Flugpläne, koordinierte sich mit ukrainischen Quellen, die unter beträchtlichem persönlichen Risiko Informationen beschafften. Zuletzt holte Ben noch den deutschen Investigativournalisten Hans-Martin Tillack an Bord, dem es gelang, einige fehlende Puzzlesteine zu finden.
Ohrenbetäubendes Schweigen
Als die Geschichte erschien, war das Leserinteresse groß, aber kein österreichisches Medium wollte darüber berichten. Das sei “keine Geschichte.” Das fand ich insofern interessant, als ja Kurz’ PR-Trips in der Holzklasse offenbar schon Geschichten sind; denn über sie wurde regelmäßig breit berichtet.
Einen Tag nach Erscheinen brach die Story in der Ukraine durch, zahlreiche Medien des Landes berichteten prominent. Dann brachte der deutsche “Spiegel” die Geschichte. Jetzt wurde es langsam peinlich für die österreichischen Medien. Selbst in der Slowakei war der Artikel bereits erschienen, US-amerikanische Medien fragten Ben um Interviews dazu. In Österreich: Schweigen.
Dann, am Freitag – mit zwei Tagen Flugverspätung – erschienen plötzlich auch hierzulande Berichte. An ihnen war manches seltsam. In den Berichten wurde das Kanzleramt mit Sätzen zitiert, die türkise Kampfposter zuvor wortwörtlich in sozialen Medien geäußert hatten.
Im “Standard” erschien ein ausführlicher, kritischer Artikel, ZackZack wurde angemessen zitiert. Kurz darauf wurden die kanzlerkritischen Passagen gestrichen, die Quelle der Informationen – ZackZack – entfernt.
Bild: Screenshot Twitter/@klaus_lex
Uns zeigt das: Wer die relevanten, die heißen Geschichten lesen will, findet sie in Österreich oft nur unter einer Adresse: zackzack.at.
Titelbild: APA Picturedesk