Fehlende Transparenz, Diskriminierung
In drei Etappen soll der „Grüne Pass“ ab Ende Mai in Österreich eingeführt werden. Vonseiten der Politik und der Wissenschaft hagelt es Kritik – sowohl für die österreichische, als auch für die europäische Lösung.
Wien, 27. April 2021 | In den vergangenen Tagen war auch regierungsintern eine Diskussion über den genauen Start des “Grünen Passes” entstanden. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuletzt Ende Mai als Auftakt gemeinsam mit den Lockerungen angegeben, während Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) frühestens von Juni sprach.
Drei Etappen
Was braucht man also, wenn man ab dem 19. Mai wieder Gastronomie, Kulturevents oder Sportstätten besuchen will? Seit Montag ist klar, dass die Einführung eines digitalen Impf-, Genesungs- oder Testnachweises in drei Etappen erfolgen soll. Der Begriff „Grüner Pass“, der vom Kanzler gerne für die österreichischen Pläne gebraucht wird, sorgt dabei jedoch für Verwirrung. Wird es sich im ersten Schritt doch um nichts mehr als einen normalen Nachweis einer Corona-Impfung, -Testung oder -Genesung handeln.
Der zweite Schritt, etwa zwei bis drei Wochen später, sieht eine Umsetzung auf nationaler Ebene in Form eines gemeinsamen QR-Codes vor. Darin sollen dann alle unterschiedlichen Nachweise gebündelt werden. Erst dann heißt es: Warten auf die Fertigstellung der europäischen Lösung, dem echten „Digitalen Grünen Zertifikat“, das EU-Bürgern das Reisen innerhalb Europas wieder ermöglichen soll. Dieses soll laut Experten frühestens im Juli fertig sein.
Gesetzliche Änderung nur mithilfe der SPÖ möglich
So ist ab 19. Mai nichts anderes nötig als ein normales Testergebnis, der Nachweis einer überstandenen Corona-Infektion oder ein Eintrag im Impfpass. Selbst das gilt allerdings nur, wenn die SPÖ einer entsprechenden gesetzlichen Änderung zustimmt und damit die einschlägige Bundesratsblockade, die noch bis zum 25. Mai läuft, aushebelt. Wird dies nicht (im Rahmen einer Sondersitzung) vollzogen, müssten auch Geimpfte noch sechs Tage lang testen gehen, ehe der Impfnachweis zur “Zutrittskarte” wird.
Das Vorgehen des Kanzlers, sich als „Vorreiter“ in dieser Sache präsentieren zu wollen, wird sowohl von Seiten der Politik als auch der Wissenschaft kritisiert. Schon allein bei der europäischen Lösung seien noch viele Fragen offen. Etwa, an welchem Tag nach der Impfung man zusätzliche Freiheiten erhält. Auch sollte man sich in Österreich eher darauf konzentrieren, bis zum Zeitpunkt der Einführung allen Impfwilligen auch wirklich einen Impftermin anbieten zu können.
SPÖ-Dornauer skeptisch, Kritik von NEOS und FPÖ
„Ein ‚Grüner Pass‘ ohne Impftermin ist unfair“, meint etwa der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer. Und auch wenn es in absehbarer Zeit zu einer flächendeckenden Durchimpfung kommen sollte, sieht Dornauer darin eher eine „Impfpflicht durch die Hintertüre“ auf Österreich zukommen. Wie auch Datenschutzexperte Thomas Lohninger zuletzt gegenüber ZackZack betonte, sieht Dornauer im Begriff „Grüner Pass“ nur ein Schlagwort, „das dazu dienen soll, um es in Medien und auf Pressekonferenzen zu präsentieren.“
Kritik kommt auch von den NEOS. Gesundheitssprecher Gerald Loacker fragt sich, was genau die Menschen vorweisen müssen, wenn sie wieder ins Gasthaus oder ins Kino wollen, und wo dieser Nachweis herkommt, und wo und in welcher Form er gespeichert wird. All das sei noch völlig unklar. Es drohe “ein Datenchaos”.
Auch die FPÖ hält nicht viel von den Plänen der Regierung und der EU: “Der grüne EU-Pass bringt den Bürgern keine Freiheit zurück, er bringt für die Bürger vor allem mehr Kontrolle”, kritisiert der freiheitliche Europamandatar Mag. Roman Haider die Pläne der EU, einen digitalen grünen Nachweis einzuführen. Es gebe bereits einen internationalen Impfpass, der sich bei der Einreise in impfpflichtige Staaten bewährt habe. Es sei “völlig unverständlich, warum die EU aber auch Österreich so vehement auf den grünen Pass drängen, obwohl er keine Verbesserung mit sich bringt”, erklärt Haider. Zudem sage der grüne Pass über die Infektiosität der Inhaber nichts aus.
“Grüner Pass löst die Probleme nicht”
Ob es das “digitale grüne Zertifikat” überhaupt braucht und was es für die Zukunft der EU-Bürger wirklich bedeuten könnte, war auch letzte Woche Thema bei der Vorlesung zum “digitalen Humanismus”, einer Online-Diskussion auf Einladung der TU Wien. Universitätsprofessor Nikolaus Forgo vom Institut für Digitalisierung an der Uni Wien, Hannes Werthner, ehemaliger Dekan der Fakultät für Informatik an der TU, und Ron Roozendaal, Chief Information Officer (CIO) im niederländischen Gesundheitsministerium, diskutierten darüber, ob der grüne Pass tatsächlich so etwas wie Reisefreiheit bringt.
Und das tut er, wenn es nach Forgo geht, nicht. Der Wissenschaftler ist der festen Überzeugung, dass “der Grüne Pass die Probleme, die wir durch die Pandemie haben, nicht löst”. So wäre er nur ein weiter Schritt in eine “neue Normalität”. Die Tatsache, dass man künftig einen Nachweis brauche, um in einen anderen EU-Staat fahren zu dürfen, betrachtet er mit Sorge.
Auch Forgo kritisiert die vorgesehenen Kriterien (als vollständig geimpft solle man etwa 22 Tage nach der 2. Impfung gelten), nach denen in Zukunft bestimmt werden soll, wer wirklich als getestet, genesen oder geimpft gilt. Man müsse hinterfragen, ob diese wirklich epidemiologisch sinnvoll sind. Personen könnten sich zum Beispiel erst kurz vor der Reise mit einer “Fluchtmutation” anstecken, gegen die die Impfung nicht wirkt. Auch sei nicht klar, ob Geimpfte das Virus nicht trotzdem weitergeben können. Neben fehlender Transparenz in der Entwicklung sei zudem unklar, wie man mit Personen umgeht, die mit einem nicht in der EU zugelassenen Impfstoff (z.B Ungarn mit Sputnik V) geimpft sind. Die Gefahr der Diskriminierung einer breiten Bevölkerungsgruppe sei groß.
Auch Niederlande arbeitet an nationaler Lösung
Roozendaal hingegen begrüßt das geplante System. Es sei seiner Meinung nach “auf jeden Fall sicherer, als wenn man keinen Grünen Pass hätte”. Er ist davon überzeugt, dass die EU bei der Erstellung auf Grundprinzipien wie Datenschutz Rücksicht nimmt. Der Niederländer begrüßt auch die Pläne jener Länder, die mit einer eigenen Form des Nachweises vorstoßen wollen und so Gastronomie oder Kultur wieder Perspektiven bieten wollen. Während Forgo eine Massenüberwachung wittert, betont Roozendaal den offenen Diskurs dazu im niederländischen Parlament. Dort würde es eine Beschränkung im Gesetz geben, dass stets nach 3 Monaten evaluiert werden muss, ob die Maßnahmen noch gerechtfertig sind.
Wie auch bereits Thomas Lohninger von der NGO epicenter.works seit mehreren Monaten fordert, wünscht sich auch Forgo für Österreich eine breite Diskussion zu diesem Thema. Um diese würde sich die Regierung im Moment nicht wirklich kümmern. Sollte sie aber, wenn es nach Datenschützern geht. Schließlich will man, dass mit dem Ende der Pandemie auch der grüne Pass wieder Geschichte sein wird.
(mst)
Titelbild: APA Picturedesk