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Pleitetransparenz

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Pleitetransparenz

Das ist ein Unterüberschrift

Etwa eine halbe Million Menschen in Österreich ist überschuldet. Ein neues Exekutionsrecht bringt laut Experten einige Verbesserungen. Doch künftig ist öffentlich einsehbar, wer pleite ist.

Wien, 04. Juni 2021 | Im Juli tritt ein neues Exekutionsrecht in Kraft. Justizministerin Alma Zadic verspricht ein “gerechtes Miteinander”. Ziel der Reform sei eine einfachere Entschuldung von Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen können.

Bis zu 700.000 Exekutionen gibt es jährlich in Österreich. Gläubiger können sie bei Gericht beantragen, um an Geld zu kommen, das ihnen ihrer Ansicht nach geschuldet wird. Warum sind es so viele?

Wettrennen um Pfändbares

Bernhard Sell, Prokurist der Schuldnerberatung Wien erklärt: Beim alten Exekutionsrecht gilt “first come, first served”. Wer zuerst Exekution beantragt, bekommt alles, was pfändbar ist, weitere Gläubiger schauen durch die Finger. Deshalb stellten viele Gläubiger sicherheitshalber Exekutionsanträge, um im Zweifelsfall die ersten zu sein. Das brächte nicht nur einen enormen bürokratischen Aufwand, sondern konfrontiere die Schuldner auch mit massenhaften Exekutionsanträgen.

Das neue Gesetz bringt ein neues Instrument, die sogenannte Gesamtvollstreckung. Stellt ein Gericht fest, dass eine Person hoffnungslos überschuldet ist – praktisch, weil Gerichtsvollzieher die Erfahrung machen, oft bei einer Person tätig zu werden, ohne dass etwas zu holen ist – kann jeder Gläubiger Antrag auf Gesamtvollstreckung stellen. Andere Gläubiger können sich anschließen. Was verwertbar ist, wird unter ihnen aufgeteilt.

Und: Im Gegensatz zum Privatkonkurs bringt die Gesamtvollstreckung keinen Neustart. Sie läuft so lange, bis alle Schulden getilgt sind. Wann immer Geld oder andere Werte über dem Existenzminimum hereinkommen, gehen sie an die Gläubiger. Das soll, sagt Sell, die Schuldner dazu bringen, rascher Privatkonkurs anzumelden. Den bis zu 700.000 Exekutionsanträgen stünden derzeit jährlich nur 10.000 Privatkonkurse gegenüber. Es gäbe aber wesentlich mehr überschuldete Menschen.

Insgesamt positiv, aber…

Die raschere Überleitung in die Insolvenz sehen Sell wie auch Rechtsanwalt Florian Horn positiv. Derzeit würden Menschen über Jahre hinweg immer wieder gepfändet, die besser beraten wären, mittels Insolvenzverfahren reinen Tisch und einen Neuanfang zu machen. Auch für Arbeitgeber werde es leichter, sagt Sell: Statt wie derzeit oft dutzende Gehaltsexekutionsanträge zu bekommen, hätten sie in der Gesamtvollstreckung nur noch einen Ansprechpartner.

Aber es gibt ein Problem: Sobald das Gericht die Überschuldung einer Person feststellt, wird das in der Ediktsdatei veröffentlicht, erklärt der Alpenländische Kreditorenverband. In dieses Register kann jeder schauen, auch Arbeitgeber oder Vermieter. Betroffene fürchten, an den Pranger gestellt zu werden, keinen Job oder keine Wohnung mehr zu finden.

Auch, wenn Personen gegen die Festellung der Zahlungsunfähigkeit Rechtsmittel einlegen, bleibt der Eintrag in der Datei bestehen, bis die Sache ausgefochten ist. “Im Extremfall” könne das negative Auswirkungen auf die Schuldner haben, sagt Horn. Bernhard Sell sagt, die Schuldnerberatung habe sich intensiv dafür eingesetzt, dass dieser Mechanismus aus dem Gesetzesvorschlag gestrichen werde. Passiert ist das nicht.

(tw)

Titelbild: APA Picturedesk

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