»Es braucht eine Abkehr vom Neoliberalismus«
Robert Krotzer (KPÖ) übernahm 2017 als jüngster Stadtrat in der Geschichte von Graz das Ressort Gesundheit und Pflege. Elke Kahr ist sein politisches Vorbild. Was sagt Krotzer zu Pflegemangel, Impfpflicht und dem KP-Wahlsieg?
Wien/Graz, 29. September 2021 | Robert Krotzer ist seit 2017 neben Elke Kahr der zweite Kommunist in der Grazer Stadtregierung. Der 34-Jährige ist Stadtrat für Gesundheit und Pflege. Mit dem Deutschlehrer hat ZackZack über Pflege, Corona und die politische Situation in Österreich gesprochen.
ZZ: Was viele nicht wissen: Sie wurden mit 29 Grazer Stadtrat und damit zum jüngsten Stadtrat in der Geschichte der Stadt. Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten Jahren in der Politik gemacht?
Robert Krotzer: Das war natürlich ein großer Lernprozess. Als Lehrer im Brotberuf war es die Umstellung vom Lehrer zum Lernenden. Aber Gesundheit und Pflege ist ein hochinteressanter Bereich, jedoch unter der türkis-blauen Stadtregierung mit sicherlich keinen einfachen Rahmenbedingungen. Die setzte alles daran, uns wenig Spielräume zu geben.
ZZ: Was waren Ihre Meilensteine?
Robert Krotzer: Wir versuchen mit den Gesundheitseinrichtungen einen sehr engen Austausch zu pflegen und wir haben viel in die Wege geleitet. Die letzten zwei Jahre haben wir im Gesundheitsamt einen großen Schwerpunkt auf die seelische Gesundheit gelegt, der spielte bisher kaum eine Rolle. Mit Einrichtungen, Psychologen und Psychotherapeutinnen, haben wir eine Politik der kleinen Schritte unternommen. Wir setzen auf einen sehr direkten Austausch, mit den Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern.
ZZ: Ihre Parteichefin Elke Kahr steht gerade im Rampenlicht. Ist Sie ihr politisches Vorbild?
Robert Krotzer: Definitiv ist sie mein Vorbild, ganz klar. Vor allem aber auch eine gute Lehrmeisterin. Ich habe es in den viereinhalb Jahren Stadtrat auch so gehalten wie Elke Kahr. Zweimal die Woche halten wir mehrstündig Sprechstunden ab, wo die Leute mit ihren Anliegen und Problemen kommen können. Gesundheit, aber gerade der Pflegebereich haben hier eine große Rolle gespielt. Mit der Grazer „Pflegedrehscheibe“ konnte wir viele Menschen unterstützen und eine Pflege organisieren.
ZZ: Wie wollen sie den Pflegebereich attraktiver machen?
Robert Krotzer: Wir brauchen dringend eine Aufstockung der Ausbildungsplätze. Das verlange ich vom Land Steiermark seit Jahren. Außerdem braucht es bessere Rahmenbedingungen. Das beginnt bei der Entlohnung, aber ist auch eine Frage des Personalschlüssels. Was ich im alltäglichen Kontakt mit Pflegekräften höre, ist drastisch. Die arbeiten acht, neun, zehn Tage durch. Das System steht schon an der Kippe. Es herrscht höchster Handlungsbedarf, und darauf werden wir drängen.
ZZ: Möglicherweise hört die türkis-blaue Stadtregierung aber jetzt auf und die zweitgrößte Stadt Österreichs wird bald von einer antikapitalistischen Kraft regiert. Was könnte das für eine Symbolwirkung haben?
Robert Krotzer: Eine gewisse Symbolwirkung hat das jetzt schon. Wir bekommen Rückmeldungen aus ganz Österreich und darüber hinaus. Aus den verschiedenen politischen Lagern melden sich viele Menschen, auch viele, die sich schon lange von der Politik abgewandt haben. Weil sich in den letzten Jahrzehnten eine politische Kultur in Österreich durchgesetzt hat, die sehr stark auf Repräsentation und Inszenierung gesetzt hat – ob das jetzt Franz Vranzitkys ‘Nadelstreif-Sozialisten’ oder die türkisen slim-fit-Anzüge gewesen sind.
Jetzt hat sich gezeigt, dass für viele Menschen etwas anderes gefragt ist. Das ist ein Ausrufezeichen, das in Graz gesetzt worden ist. Kanzler Kurz nennt das „bedenklich“, aber eigentlich sollte man darüber nachdenken. Es zeigt, dass sich die Menschen von der Politik etwas ganz anderes erwarten.
ZZ: Besetzt die KP also eine Leerstelle?
Robert Krotzer: Vor vielen Jahrzehnten machte die SPÖ und die ÖVP Basisarbeit, und waren Serviceinstitutionen. Das ging verloren, seitdem sich in den 90er Jahren eine Neoliberalisierung in der Politik durchgesetzt hat: Sowohl im Inhalt wie auch im Stil.
Analysen bezeichnen uns jetzt oft als „unpolitisch“. Das ist eine klare Verkennung dessen, was politische Parteien für einen Auftrag haben. Wir bieten Menschen eine politische Heimat, greifen ihre Anliegen auf und sind für sie da. Man muss für jene Menschen eine Lobby sein, die keine haben. Jetzt müssen wir das auf eine höhere Ebene holen.
ZZ: Dann könnte Graz aber auch schnell Zielscheibe für türkise Angriffe werden…
Robert Krotzer: Das wird sich alles weisen. Wir suchen das Gespräch mit allen Parteien, haben heute auch schon mit der ÖVP gesprochen. Wir bieten ihnen den Geist einer neuen Zusammenarbeit an. Man hatte in den letzten Jahren oft das Gefühl, der Fokus der Stadtregierung war eigentlich: ‘Wie macht man der KP das Leben besonders schwer?’ Das wollen wir umkehren, und alle einbinden. Wir wollen niemanden demontieren. Ein solcher politischer Stil, bei dem man sich nicht von der Bevölkerung abschottet, würde allen Parteien in Graz gut zu Gesicht stehen.
ZZ: Reden wir über die Impfungen: Im neoliberalen Regime bekommen die Konzerne immer mehr Macht, Pfizer verdient massiv an den Impfungen. Was unternahm die Grazer KP während der Coronakrise?
Robert Krotzer: Natürlich müssten die Patente sofort aufgehoben werden. Die Bekämpfung der Pandemie darf nicht dazu führen, dass manche doppelt und dreifach Profite machen.
Während der Pandemie haben wir einen sozialmedizinischen Zugang gewählt. Mit einer Telefonkette gemeinsam mit Pensionistenorganisationen, Migrantinnenorganisationen und Vereinen wurde durchtelefoniert: ‚Was brauchen die Leute?‘ Das haben wir die ganze Zeit über mit unseren bescheidenen Mitteln durchgezogen.
ZZ: Aktuell gibt es massiven Druck auf Ungeimpfte. Wer nicht testet oder impft, ist vom sozialen Leben ausgeschlossen. Kurz macht bereits Werbung für die dritte Impfung, in Israel ist man schon bei der Vierten. Wie gehen sie damit um?
Robert Krotzer: Wir haben uns auch bei anderen Erkrankungen immer gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Man wird auch keine Ärzte finden, die jemanden zwangsbehandeln werden. Die Impfung ist aber ein wichtiger Schritt bei der Eindämmung von Corona. Es bleibt eine individuelle Entscheidung, die Regierung verabsäumt aber sogar, niedrigschwellige Angebote zu setzen. Stattdessen gibt es Drohungen und Druck, und das führt genau zum Gegenteil: Leute fühlen sich bevormundet.
ZZ: Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützhofer (ÖVP) ist für eine Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich. Das sorgt doch für weiteren Personalmangel?
Robert Krotzer: Wir haben uns auch im Landtag ganz klar gegen diese Impfpflicht gestellt. Weil wir wissen, wie prekär die Situation im Pflegebereich ist, auch in der Elementarpädagogik. Wenn man dort nun beginnt, noch weitere Stellschrauben zu drehen, wird das sicher nicht einfacher.
ZZ: Was, wenn sich die Intensivstationen diesen Winter überlasten, wer ist dann schuld daran: Die Ungeimpften oder das neoliberale Gesundheitssystem?
Robert Krotzer: Halten wir eines fest: Wir sind sehr froh, dass die unzähligen ‘Empfehlungen’ der EU-Kommission Spitalsbetten zu kürzen und zu streichen, in Österreich in der Form nicht befolgt wurden. Die Auswirkungen dessen sah man im Frühjahr 2020 in Italien, dort wurde viel mehr gekürzt. Das zeigt: Es braucht eine Umkehr und eine Abkehr von diesen neoliberalen Vorgaben insbesondere im Gesundheitsbereich.
Ich selbst bin geimpft, auch wenn ich nicht unbedingt Teil der Risikogruppe bin. Meine Erfahrung ist: Anstatt mit dem Finger zu zeigen, sollte man von sich ausgehen. Wenn mich jemand fragt, dann kann ich die Impfung empfehlen, aber mit Druck erzeugt man Gegendruck.
Das Gespräch führte Thomas Oysmüller
Titelbild: KP Graz