»Keine weitere Koalition mit Kurz«
Für fast alle Landesspitzen der Grünen ist klar: Eine Koalition mit Sebastian Kurz ist nicht mehr vorstellbar. Die Lage sei “einigermaßen dramatisch”.
Wien, 07. Oktober 2021 | Auch in den Ländern regt sich bei den Grünen nach Bekanntwerden der Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein engstes Umfeld nun Unmut. In Kärnten wird etwa die weitere Zusammenarbeit mit Kurz als nicht vorstellbar erachtet. Auch in den meisten anderen Bundesländern geht man davon aus, dass man nicht so weitermachen könne, als ob nichts geschehen wäre.
Kärnten-Chefin schließt weitere Koalition mit Kurz aus
“Weiter wie bisher geht es nicht, ich kann mir keine weitere Koalition mit einem Kanzler Kurz vorstellen”, erklärte die Landessprecherin der Grünen Kärnten und stellvertretende Klubobfrau im Nationalrat, Olga Voglauer, am Donnerstag auf APA-Anfrage, ob die Koalition auf Bundesebene fortgesetzt werden soll: “Wir haben eine Koalition mit der ÖVP, nicht mit Sebastian Kurz.” Wenn die ÖVP jetzt “Verantwortung” übernehme, werde man sich damit befassen müssen: “Wenn es einen neuen Kandidaten gibt, dann müssen die Gremien beraten, was weiter möglich ist.”
Ansonsten teilte die Grünen-Landessprecherin die Ansichten von Bundesparteichef Werner Kogler, die Amtsfähigkeit von Kurz sei massiv untergraben: “Die ÖVP sollte sich fragen, mit welcher Person sie zukünftig weitermacht.” Die Vorwürfe seien schwerwiegend, “auch wenn es eine Unschuldsvermutung gibt, gibt es auch eine politische Wertehaltung.” Und: “Ibiza war eines – da wurde davon gesprochen, was möglich sein kann. Was aber hier an Protokollen vorliegt, ist quasi schlechthin der Beweis, dass es nicht nur Inserate gegeben hat, sondern mit Finanzministeriums-Geld Berichterstattung gekauft wurde.”
In Wien ließ die nicht amtsführende Stadträtin Judith Pühringer – die auch für den Parteivorsitz bei der Wiener Landespartei kandidiert – auf Twitter wissen: “Meine Einschätzung: Was hier gerade passiert, ist nicht normal.” Man könne nicht zu “irgendeiner Tagesordnung” übergehen. “Wir beobachten diese undurchsichtigen Entwicklungen bei der ÖVP sehr genau.” Sie hoffe sehr, dass dieser Fall kein “Ibiza in Türkis” werde.
Felipe: “Verheerend”
Auch Ingrid Felipe, die sich in Tirol mit der ÖVP in der Landesregierung befindet, befand, es könne nun nicht “zur Tagesordnung” übergegangen werden. Sie ortete “in der ÖVP dringenden Gesprächsbedarf”, sagte sie auf APA-Anfrage. Viele in der ÖVP-Wählerschaft sowie SpitzenfunktionärInnen der schwarzen ÖVP würden nun wohl “die ein oder andere Frage” an Kurz und “seine Gefolgschaft” haben, meinte sie.
“Bei den im Raum stehenden Vorwürfen kein Wunder”, denn das Bild, das die Staatsanwaltschaft zeichne, sei “verheerend”. “Zur Entkräftung braucht es jetzt Kooperation und volle Transparenz”, forderte Tirols Landeshauptmannstellvertreterin. Sie beurteilte die nun stattfindenden Gespräche mit allen Parlamentsparteien und dem Bundespräsidenten als richtigen Schritt und zog einen bereits viel zitierten Vergleich: “Das war bei Ibiza so und das ist auch jetzt der richtige Weg zurück zur Stabilität und Handlungsfähigkeit”.
Die burgenländische Landessprecherin der Grünen, Regina Petrik, stellte die Handlungsfähigkeit des Kanzlers ebenfalls infrage. “Der Eindruck, der hier hinterlassen wird, ist desaströs”, betonte sie am Donnerstag auf APA-Anfrage. “Es muss hier auf jeden Fall alles ohne Lücken aufgeklärt werden.”
Zurückhaltender zeigte sich Helga Krismer, die Landessprecherin der niederösterreichischen Grünen. “Da der Nationalrat handlungsfähig ist, sehe ich keine Notwendigkeit von Neuwahlen. Die ÖVP muss ihre Verantwortung für das Land selber definieren”, hielt sie auf APA-Anfrage fest. Ihr Parteikollege Vizekanzler Werner Kogler und dessen Team seien “Garant für Stabilität und dulden auch keine Querschüsse auf die Justiz”. Österreich befinde sich noch immer in der Corona-Pandemie und habe mit der Steuerreform sowie dem nahenden Budgetbeschluss “den Auftrag gegen die Klimakrise mit Zukunftskonzepten anzukämpfen”
Rauch: “Vizekanzler könnte die Geschäfte führen”
Der Vorarlberger Grünen-Landesrat Johannes Rauch (Grüne) nannte die Lage am Donnerstag “einigermaßen dramatisch”, man könne “nicht zur Tagesordnung übergehen”. Man lote derzeit in parlamentarischen Gesprächen und in Gesprächen mit dem Bundespräsidenten aus, welche Möglichkeiten es gebe, das Land handlungsfähig zu halten. Nur weil der Kanzler “nicht handlungsfähig” sei, bedeute das nicht automatisch das Ende der Koalition. “Die Minister sind handlungsfähig, auch die der ÖVP. Auch der Vizekanzler könnte die Geschäfte führen”, so Rauch zur APA.
Über einen Rücktritt müsse der Kanzler bzw. die ÖVP entscheiden, “aber die Vorwürfe wiegen schwer und müssen restlos aufgeklärt werden”. “Neuwahlen will niemand”, betonte Rauch. Die Grünen seien derzeit der stabilisierende Faktor der Republik, auch indem man eine Justizministerin stelle, die unbeirrbar für Aufklärung sorge. Die nächsten Tage seien entscheidend, man müsse die Entwicklung abwarten.
Die Doppelspitze der Vorarlberger Grünen, Daniel Zadra und Eva Hammerer, erklärten in einer Aussendung, es seien nun zwei Dinge zentral: dass die Staatsanwaltschaften die Vorwürfe weiter unabhängig untersuchen könnten und dass “alle Parlamentsparteien gemeinsam für Stabilität in dieser Ausnahmesituation sorgen, damit Österreich handlungsfähig bleibt”. Vizekanzler Werner Kogler und Klubobfrau Sigrid Maurer setzten sich dafür ein, dass die Regierung weiterhin ihren Aufgaben und Pflichten nachkommen könne. Man unterstütze, dass sich die Bundesgrünen mit den Klubobleuten der Parlamentsparteien und dem Bundespräsidenten abstimmten. Zusammenhalt sei das Gebot der Stunde.
(bf/apa)
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