Showdown EU-Parlament:
In Polen stellte die Justiz nationale Gesetze über EU-Recht. Die polnische Regierung könnte nun EuGH-Urteile ignorieren. Am Dienstag gibt es eine Konfrontation in Straßburg.
Straßburg, 19. Oktober 2021 | Im Europaparlament in Straßburg kommt es am Dienstag zu einem mit Spannung erwarteten Kräftemessen zwischen Polen und der EU-Kommission. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki will in einer Plenardebatte umstrittene Justizreformen seines Landes verteidigen. Auch das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das den Vorrang von EU-Recht in Frage stellt, dürfte dabei eine herausgehobene Rolle spielen.
Morawiecki gegenüber steht vor allem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ihre Behörde kämpft seit längerem mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Teile der polnischen Justizreformen und sieht das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts als Gefahr für die Rechtsordnung der EU.
Polen: Nationales Recht über EU-Recht
Konkret hatten die höchsten polnischen Richter Anfang Oktober entschieden, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. Diese Entscheidung gilt als höchst problematisch, weil sie der nationalkonservativen PiS-Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des EuGH zu ignorieren. Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass EU-Recht grundsätzlich Vorrang vor nationalem Recht hat.
Von der Leyen drohte Polen deshalb bereits mit Sanktionen. “Wir werden von allen Befugnissen, die uns die Verträge verleihen, Gebrauch machen, um diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen”, sagte sie am vergangenen Mittwoch. Die EU sei eine Werte- und Rechtsgemeinschaft.
Polen könnte EuGH missachten
Befürchtet wird in Brüssel vor allem, dass die Regierung in Warschau EuGH-Entscheidungen zu umstrittenen Teilen der polnischen Justizreform missachten könnte. Diese beinträchtigen nach Ansicht der EU-Kommission die richterliche Unabhängigkeit der polnischen Richterinnen und Richter und bieten auch nicht die notwendigen Garantien für deren Schutz vor politischer Kontrolle.
Eine Einigung ist bisher nicht in Sicht. Kurz vor der Debatte im Europaparlament verschärfte Morawiecki den Ton in der Debatte um die Kompetenzen in der EU sogar noch einmal. In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten warnte er, die Gemeinschaft könne bald kein Bund freier Staaten mehr sein. Es gebe eine ungewöhnlich gefährliche Entwicklung, die die Zukunft der EU bedrohe, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Schreiben.
Parlament will Druck erhöhen
Eine Mehrheit im Europaparlament (EP) sieht das allerdings ganz anders. So forderten die Fraktionschefs der Christdemokraten, der Sozialdemokraten, der Liberalen, der Grünen und der Linken bereits im Frühjahr in einem Brief an von der Leyen mehr Druck durch die EU-Kommission auf Warschau. Derzeit droht das Parlament zudem, die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil sie eine neue Regelung zur Ahndung von Rechtsstaatsverstößen in EU-Staaten bisher nicht angewendet hat. Der Mechanismus erlaubt die Kürzung von EU-Geldern, wenn eine ordnungsgemäße Verwendung von Geldern aus dem Gemeinschaftshaushalt durch Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit nachweislich bedroht ist.
Wie der Konflikt gelöst werden könnte, ist völlig unklar. Aus Sicht von Ländern wie Luxemburg oder der Niederlande müsste Polen eigentlich aus der EU austreten, wenn es sich nicht vollständig an Gemeinschaftsrecht halten will. Morawiecki hatte zuletzt jedoch betont, dass ein solcher Schritt seines Landes nicht zur Debatte steht. Auch ein Großteil der Bevölkerung bewertet die EU-Mitgliedschaft positiv.
EVP-Weber: Geldhahn zudrehen
Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, forderte am Dienstag Konsequenzen für das Mitgliedsland. “Die Europäische Union hat die Möglichkeit, Gelder zu stoppen, wenn die Unabhängigkeit der Justiz nicht gewährleistet ist. Und das erwarten wir von der Kommission”, sagte der CSU-Politiker im ZDF Morgenmagazin. Klar sei auch, dass sich die Staats-und Regierungschefs an einen Tisch setzen und Klartext reden müssten, auch gegenüber Polen.
(dpa/APA/red)
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