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Wer will noch (unter diesen Bedingungen) arbeiten?

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Wer will noch (unter diesen Bedingungen) arbeiten?

Das ist eine Unterüberschrift

Knapp 140.000 Stellen in Österreich sind derzeit unbesetzt. Leitartikler, Wirtschaftsvertreter und Politik wollen “arbeitsunwillige” Menschen mit Maßnahmen in Jobs drängen. Doch der Arbeitskräftemangel hat mehrere Ursachen.

Wien, 01. Juni 2022 | Wer will heutzutage überhaupt noch arbeiten? Das fragte sich die Chefredakteurin einer großen österreichischen Tageszeitung in ihrem letzten Sonntagskommentar. Der aktuelle Arbeitskräftemangel (Ende Mai wurde ein Allzeithoch von 138.134 offenen Stellen gemeldet), sei demnach vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Menschen heutzutage nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen würden, man diese nach Home-Office und Kurzarbeit wieder mit Maßnahmen “aktivieren” müsse.

Vorschläge gegenzusteuern werden in jenem Leitartikel einige genannt. Teilzeitarbeitende Frauen könnten wieder mehr arbeiten, heißt es, oder: “durchaus fittere Ältere” müssten länger im Betrieb gehalten werden. Und die Jungen? Diese wären mit ihrem Ruf nach der Work-Life-Balance zunehmend schwer in Vollzeit-Jobs ohne Home-Office zu bringen.

Maßnahmen des neuen “Super-Ministeriums”

Es ist jener Tenor, der heutzutage aus vielen Medien, der Wirtschaftskammer und aus dem neuen “Superministerium” Arbeit und Wirtschaft kommt: Menschen ohne Vollbeschäftigung in Jobs zu bringen, egal ob diese ihn machen wollen oder nicht, damit es der Wirtschaft wieder gut geht. Maßnahmen, wie die von Minister Martin Kocher geplante Reform der Arbeitslosenversicherung oder die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte, um mehr Arbeitskräfte aus Drittländer in den Arbeitsmarkt zu holen, werden von der Wirtschaft herbeigesehnt.

Für Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Think-Tanks bräuchte es aber mehr als das. Viel mehr müssten die Arbeitsbedingungen an die heutigen Verhältnisse angepasst werden. Dass der heutige Arbeitskräftemangel durchaus auch von den Unternehmen selbst hausgemacht ist, zeigt sich am Beispiel der Gastronomie, wo vor allem jetzt nach den Öffnungen und dem Wiederaufleben der Branche wieder händeringend nach Personal gesucht wird. Viele Arbeitnehmer haben sich in den Lockdown-Zeiten umorientiert, zu unsicher waren die Aussichten in der Branche.

Gastro schon vor Pandemie ohne Personal

Doch der Personalmangel in der Gastronomie, aber auch im Tourismus, ist bei weitem kein Post-Corona-Phänomen. Schon lange vor der Pandemie beklagte man das Fehlen von Fachkräften. Die Branche ist schon lange durch hohe Personal-Fluktuation geprägt. Sieht man sich die Arbeitsbedingungen an, wird klar, warum.

Kellnerinnen, Barkeeper, Küchenkräfte – sie alle leisten Knochenjobs, müssen oft dann arbeiten, wenn andere frei haben. Job und Familie zu vereinbaren ist, wenn man in der Gastro arbeitet, kaum möglich. Aber auch immer wenige junge Menschen zieht es in die Branche, weil die monetären Anreize fehlen. Über 40 Stunden wöchentlich für ein Gehalt nur knapp über dem sowieso schon niedrigen Kollektivlohn zu arbeiten, wollen immer weniger.

Anfang Mai sorgte ein Kärntner Gastronom für Aufsehen in der Branche. Der Chef einer Pizzeria in St. Jakob im Rosental bot seiner neuen Barkraft in einer Stellenausschreibung für 40 Stunden 3.200 Euro netto. Die Folge: 40 Bewerbungen aus ganz Österreich, in kürzester Zeit. Auch den anderen Mitarbeitern bot er eine Gehaltserhöhung an. Eine Zahl, von der viele Gastronomen nur träumen. Sie ärgern sich stattdessen über „unmotivierte“ und „arbeitsunwillige“ potentielle Mitarbeiter, die ihnen vom AMS geschickt werden, wie ein Wiener Wirt Ende April in einem Boulevardmedium beklagte.

Wer will für 1.735 Euro arbeiten?

Das Momentum Institut hat sich in einer umfassenden Analyse im Oktober 2021 sämtliche offene Stelleninserate des AMS angesehen und sie nach Gehaltsangaben untersucht. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der offenen Stellen nennt Gehälter gerade einmal im Bereich der Mindesthöhe der Kollektivverträge. Eine Bereitschaft zur Überzahlung wird zwar oft genannt, jedoch nie konkret in Euro angegeben.

Das der Arbeitskräftemangel hausgemacht ist, sieht man insbesondere im Berufsfeld der Köche, die am Markt heiß begehrt sind, jedoch schlecht bezahlt werden. Laut der Analyse boten die Hälfte aller Ausschreibungen nur ein Brutto-Gehalt von 1.735 Euro oder weniger. Wenig überraschend, dass die Motivation, sich für eine solche Stelle zu bewerben, gering ist – bei familienfeindlichen Arbeitszeiten und miserabler Bezahlung, in Zeiten von Rekord-Inflation noch weniger verwunderlich. Dass es in vielen Gastro-Jobs auch an Respekt mangelt, zeigt die Geschichte des Wiener Kochs Raoul, der im Magazin Arbeit & Wirtschaft im Jänner über die miserablen Zustände in der Branche gesprochen hat.

Und noch immer sind nur wenige Arbeitgeber bereit, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu bieten. Stattdessen weicht man vermehrt auf Arbeitskräfte aus Drittländern aus. Was zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Branche nicht gerade positiv beiträgt. Mit einem degressiven Arbeitslosengeld, also stufenweise weniger Geld, je länger man ohne Job ist, wie es die Reform von Minister Kocher vorsieht, will man mit Sanktionen Menschen in Jobs bringen. Darauf drängt auch die Wirtschaftskammer. “Es ist daher höchst an der Zeit, dass wir mit der Arbeitsmarktreform mehr Beschäftigungsanreize setzen”, so WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf.

AK fordert bessere Arbeitsbedingungen

Dass man mit solchen Sanktionen Menschen in Jobs treibt, die sie im Endeffekt gar nicht machen wollen und damit die Fluktuation in gewissen Branchen wieder erhöht, wird dabei gerne vergessen. Laut Arbeiterkammer müssten Unternehmen daher “endlich lernen, auch mittel- und langfristig ihren Personalbedarf zu planen”, so Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl am Mittwoch anlässlich der aktuellen Arbeitsmarktzahlen. Mit der Klage über einen „Fachkräftemangel“ würde von manchen Arbeitgebern und ihren Vertretungen sehr oft andere Ziele verfolgt, wie etwa “das Festhalten an relativ schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen oder mehr Arbeitsmigration in Niedriglohnbereichen”.

Die Arbeiterkammer fordert von den heimischen Unternehmen auch, mehr in die betriebliche Ausbildung zu investieren. “Junge Menschen auszubilden und Erwachsene weiterzubilden bzw. umzuschulen sind die wichtigsten Maßnahmen, um die Wirtschaft mit qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu versorgen und diesen ein gutes Arbeitsleben zu ermöglichen”, so Anderl.

Was ist also dieses “gute Arbeitsleben”?

Und wie stellt sich vor allem die junge Generation, die sich mit ganz anderen Lebensbedingungen als die vorige auseinandersetzen muss, vor? Der Zeitgeist ist, wie es schon genannte Chefredakteurin in ihrem Leitartikel belächelte, klar: die Jungen, die mit Corona, steigenden Lebenskosten und in eine durch die Klimakrise bedingte unsichere Zukunft sehen, wollen immer weniger in 40-Stunden-Jobs arbeiten, die sie aufgrund der Arbeitsbedingungen mental und körperlich kaputt machen und der Lohn dazu gerade einmal zur Deckung der Lebenskosten reicht. Man fokussiert sich daher vermehrt auf die Gegenwart und das eigene Wohlbefinden, oder auf den mittlerweile in Verruf geratenen Ausdruck “Work & Life Balance”.

Oder wie es besagter Koch, der seit 22 Jahren in der Branche arbeitet, im A&W-Magazin ausdrückt: „Das ist eine andere Generation als wir damals. Meine Generation hat gelernt, die Schnauze zu halten. Bei den Jungen ist das nicht mehr so.“

(mst)

Titelbild: ZackZack

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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