14 Monate »vollständig entlastet«
Wie oft kann man „vollständig entlastet“ sein? Vermutlich nur einmal. Doch das Sebastian Kurz-Umfeld befindet sich mittlerweile im zweistelligen Bereich mit Phrasen, wie „die Vorwürfe in sich zusammengebrochen sind“. Seit Juli nehmen die Verteidigungsmeldungen wieder zu. Eine Zusammenfassung:
Wien, 15. Juli 2022 | Seit Mai 2021 gibt es gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz Ermittlungen wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss. Vor dem parlamentarischen Kontrollgremium hatte Kurz seine Rolle in der ÖBAG-Besetzung klein gehalten. Die WKStA erhob Zweifel an den Aussagen des Damals-Kanzlers. Im Oktober 2021 kam für Kurz auch noch der Beschuldigtenstatus in der Inseratenaffäre hinzu. In beiden Causen gilt die Unschuldsvermutung für den im Dezember 2021 aus der Politik verabschiedeten Ex-Kanzler.
ÖVP-Anwalt als Chefverteidiger
Auffallend ist in den vergangenen 14 Monaten, dass Kurz und sein Umfeld sich bereits zum x-ten Mal als entlastet sehen. So auch am Donnerstag in Form eines “Kurier”-Artikels. Dort wird dem Schreiben zu den Falschaussage-Ermittlungen des ÖVP-Anwalts Werner Suppan an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft breit Raum gegeben. Der Titel des Artikels (“Ermittlungen gegen Sebastian Kurz: 28 Zeugen, aber kein Ergebnis”) suggeriert zudem, dass die WKStA keine Ergebnisse lieferte. Dabei handelt es sich aber eben nur um das Urteil des ÖVP-Anwalts. Die WKStA hingegen hält fest, dass die Ermittlungen weitergeführt werden. Die Korruptionsermittler geben prinzipiell keine Auskunft, über ihre Ergebnisse.
Die Erkenntnis des ÖVP-Anwalts über die bisher 28 vernommenen Zeugen klingt meist recht ähnlich, Kurz sei entlastet: „Auch diese Zeugenaussage bestätigt sohin die Angaben des Beschuldigten vor dem Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit seiner Rolle im Hinblick auf die Konstituierung des Aufsichtsrats der ÖBAG.“ Das Urteil Suppans: Die WKStA hätte keine Ergebnisse geliefert. ÖVP-Generalssekretärin Laura Sachslehner twitterte mit Verweis auf den “Kurier”-Artikel: „Keine Überraschung: Die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz erweisen sich ein weiteres Mal als völlig haltlos.“
Keine Überraschung: Die Vorwürfe gegen @sebastiankurz erweisen sich ein weiteres Mal als völlig haltlos.https://t.co/9MLqRAPSS9
— Laura Sachslehner (@l_sachslehner) July 14, 2022
Bezahlte Gutachten, Hanger und “ZiB 2”
Bereits im Mai 2021 sah das Kanzler-Umfeld kurz nach der Aufnahme der Ermittlungen Kurz als „entlastet“. Ein umstrittenes Gutachten des Strafrechtsprofessors der Uni Salzburg, Hubert Hinterhofer, das übrigens von Suppan in Auftrag gegeben wurde, sah das Vorgehen der WKStA als „spekulative Erwägungen“. Die Schlussfolgerungen seien “unterstellend und hypothetisch“. Auch der “ZiB 2”-Auftritt von Kurz sollte zur Verteidigung benutzt werden. Das Interview bei Armin Wolf ging allerdings gehörig nach hinten los. Kurz verkündete zwar seine Unschuld. Die Art und Weise, wie er dies durch Ablesen seines U-Ausschuss-Protokolles belegen wollte, bewerteten Beobachter aber als skurril.
Ähnlich ging es auch nach den Ermittlungen in der Inseraten-Causa zu: Ein Gutachten wurde im November 2021, einen Monat nach den aufsehenerregenden Hausdurchsuchungen in ÖVP-Zentrale und Regierungsviertel, eingeholt. Auch dieses galt als umstritten. Der Wiener Strafrechtsprofessor Peter Lewisch verwendete für das „Privatgutachten“ das Logo der Universität Wien. Die ÖVP jubilierte trotzdem: Kurz sei eindeutig entlastet. Auch der Ex-Kanzler war auf seinen Social-Media-Kanälen sicher: Die Vorwürfe sind falsch.
Doch nicht nur einmal sahen sich Kurz und die ÖVP vollständig entlastet im November des Vorjahres. Die Einvernahme des Ex-Finanzministers Hartwig Lögers (ÖVP) hätte erneut den Kanzler entlastet, hieß es. Begleitet wurden die unschuldsbeteuernden Presseaussendungen und Berichte mit Pressekonferenzen von ÖVP-U-Ausschuss-Fraktionsführer Andreas Hanger, der seit den ersten Ermittlungen gegen Kurz zu enormer medialer Präsenz Aufstieg.
Im Dezember 2021 legte Suppan mit einem weiteren bezahlten Privatgutachten nach. Der Innsbrucker Strafrechtsprofessor Klaus Schwaighofer sagte darin zwar, dass es in Ordnung sei, dass gegen Kurz ermittle werde, allerdings würden die Vorwürfe aus „seiner Sicht derzeit aber nicht für eine Anklage ausreichen.“
Entlastungsversuche nehmen wieder Fahrt auf
Nach der Einvernahme der ebenso in der Inseraten-Causa beschuldigten Meinungsforscherin Sabine Beinschab sah Suppan den Kanzler im Februar 2022 ebenso vollumfänglich entlastet. Auch für Beinschab gilt die Unschuldsvermutung.
Ich habe immer gesagt, dass sich die Vorwürfe gegen mich als falsch erweisen werden. Jetzt ist es soweit. https://t.co/RzTtpLdTKs
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) February 25, 2022
Einen Monat später rückte Suppan erneut aus: Chats des Unternehmers Sigi Wolf würden die Vorwürfe gegen Kurz in den Falschaussage-Ermittlungen in sich zusammenfallen lassen.
Seit Juli diesen Jahres wurden die „Entlastungen“ der ÖVP-Maschinerie wieder häufiger. Ein Amtsvermerk der WKStA hätte die Vorwürfe entkräftet, wurde medial verbreitet.
Am vergangenen Montag rückte dann schließlich wie gehabt ÖVP-Generalin Sachslehner aus. Sie berief sich erneut auf Aussagen der Meinungsforscherin Beinschab. Sachslehner sah die Vorwürfe – wenig überraschend – als “ausgeräumt”. Die WKStA hingegen ermittelt weiter.
(bf)
Titelbild: APA Picturedesk