Unsere Gesellschaft kann mit Krankheit wenig anfangen. Es ist einfach nicht sexy, krank zu sein. Selbstständige sind in heiklen gesundheitlichen Situationen besonders vulnerabel.
Letztens öffnete ich einen Social-Media-Feed und eine Nachricht, die ich seit mehreren Tagen hätte sehen können und erst in diesem Augenblick sah, sprang mich geradezu an: Es war die Erklärung einer Freundin. Sie zählte auf, was in den letzten sechs Monaten passiert war. Dieses Vorgefühl. Dieses Suchen, aber keine konkrete Antwort finden. Das eigenartige Verhalten des Körpers, der verzweifelte Versuch, trotz aller Unannehmlichkeiten und Sorgen weiter genau so abzuliefern wie davor, denn wer selbstständig ist, weiß, was es bedeutet, öffentlich zu straucheln. Dazu noch kleine Kinder, die man neben all diesen Sorgen ja auch noch nach Kräften bestens betreuen möchte. Kurzum, das Gefühl erwies sich als richtig. Es stimmte tatsächlich etwas nicht. Das Etwas war ein Karzinom.
Und hier beginnt eine neue Leidensgeschichte: Als Selbstständige ist man sogar dann noch gezwungen, weiterzuarbeiten, wenn man es sich nicht mit Auftraggebenden verscherzen will. Diese Sorge legt sich neben OP, Behandlung, Paniktsunamis noch als Gratisbeigabe obenauf. Umsonst, aber nicht brauchbar. Sie berichtete weiter, dass manche Arbeitsgebende sich sehr solidarisch gezeigt hatten. Und andere das genaue Gegenteil an den Tag legten.
Was soll ich sagen, ich war auch schon da, an dieser Schnittstelle zwischen wütendem Aufbäumen und totaler Verzweiflung. Ich war so verzweifelt, dass ich es nicht einmal schaffte, meine ärztlichen Unterlagen zu lesen. Ich bat meine Verwandten und beste Freundin darum, mir die Diagnosen und Untersuchungsergebnisse vorzutragen. Neben der totalen Angst vor dem Untergang kam die Sorge um die berufliche Zukunft. Das sind Gedanken, die man mitten in einem erbitterten Kampf nicht wirklich leisten kann, und dennoch: sie waren da.
Ich trat auf. Ich lächelte. Und fuhr weiter.
Ich beschloss, zu schweigen. Ich begann die Chemo, fuhr auf Lesetour, weil ich musste, und fand eines Tages meine Haare büschelweise neben mir am Polster eines Hotels. Am Abend musste ich auftreten. Ich trat auf. Ich lächelte. Und fuhr weiter. Manche haben ihr Herz, andere eben die Haare in diversen deutschen Städten verloren. Das Schweigen belastete mich so sehr, dass ich es irgendwann wieder verwarf. Aber das dauerte. Mein Verlag hat gehalten. Zu mir und zu meinen Büchern.
Ich kenne andere Menschen und andere Verlage, bei denen das nicht der Fall gewesen ist. Unsere Gesellschaft kann mit Krankheit wenig anfangen. Es ist einfach nicht sexy, krank zu sein. Was ich mit all diesen Aufzählungen sagen will? Die Selbstständigen sind in heiklen gesundheitlichen Situationen besonders vulnerabel. Hier muss, genau wie meine Freundin, der ich vollständige und beste Genesung wünsche, auf Social Media forderte, dringend adjustiert werden. Es kann nicht sein, dass man eine auf kleine Meerjungfrau machen muss und stumm mit schmerzenden Füßen lächelnd weitertanzen, weil das die zukünftigen Aufträge sichern könnte.