Mit zwei Zustimmungen zum Überwachungsstaat hat die SPÖ eine gefährliche Tür aufgemacht. Davor warten Thiel, Vance und Sebastian Kurz.
Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger wissen nicht genau, was in einem Handy drin ist. Sie wissen auch nicht genau, von wem der eigene Verfassungsschutz Schadsoftware ankauft, damit er in die österreichischen Handys reinkann. Sie glauben nur eines: dass man fast alles verhindern kann, wenn man alles überwacht.
Keine Ahnung
In mehr als zwei Jahrzehnten im Innenausschuss des Nationalrats und im Unterausschuss, der den Verfassungsschutz kontrolliert, habe ich immer dasselbe erlebt: ÖVP-Minister, die von der Sache keine Ahnung hatten und den Abgeordneten erklärten, dass sie wieder etwas von der Privatsphäre wegschneiden müssten, weil wir nur so sicher wären, und SPÖ-Abgeordnete, die zustimmten, weil sie auch keine Ahnung hatten.
Immer, wenn es um mehr Überwachungsstaat ging, hoben schwarze und rote Ahnungslose ihre Hände. Angebote, sich genauer zu informieren, lehnten sie in der Regel ab. Sicherheit und Datenschutz waren für die meisten von ihnen nur Nebenbeschäftigungen neben ihren wichtigen Jobs in Kammern, Verbänden und Bünden.
So bekamen wir die Rasterfahndung. Vor der Abstimmung im Nationalrat erzählten mir schwarze und rote Abgeordnete, dass ohne das neue Datenschleppnetz die Terroristen gewinnen würden. Nach der Abstimmung wurde die Rasterfahndung schnell wieder vergessen, aus einem einfachen Grund: weil sie niemand brauchte.
Tech-Faschisten
Diesmal ist das anders. Mit Staatswanzen in den Handys und Polizeikameras auf den Plätzen geht es um mehr, weil sie im Gegensatz zur Rasterfahndung gebraucht werden. Es geht auch diesmal um Sicherheit, aber sie hat nichts mit Terror zu tun. Im Gegensatz zu damals gibt es Staatschefs, die den Überwachungsstaat zur Sicherung ihrer totalen Macht benötigen. Sie heißen Putin, Orbán, Netanjahu, Erdoğan und Trump.
Putin und seine Schüler in Osteuropa wissen, was ihre Regimes benötigen. Sie haben die Macht, aber noch nicht die Instrumente der totalen Kontrolle. Die werden in den USA, in Israel und in China entwickelt. Ihre Pioniere sind Tech-Faschisten von Peter Thiel bis Elon Musk.
„Die Apokalypse wird nicht über die Sünden unserer ersten Herrscher urteilen, sondern über die Sünden derer, die uns heute regieren.“ Das ist der Schlüsselsatz im großen Glaubensbekenntnis, das Peter Thiel am 10. Jänner 2025 in der Financial Times veröffentlicht hat. Wer ihn für verrückt hält, übersieht, dass Thiel, Musk und die anderen einfach nur von einer Idee besessen sind: dass die alten Kräfte von Demokratie und Rechtsstaat ihre Freiheit einschränken wollen.
Damit haben sie recht. Rechtsstaaten setzen allen Grenzen, damit die Stärkeren nicht mit den Schwächeren machen, was sie wollen. Die Freiheit, die Musk, Thiel und Vance wollen, ist die absolute Freiheit einer winzigen Elite. Ihr anderer Name ist „Willkür“.
Hüter der Geheimnisse
Der US-Tech-Oligarch Thiel kontrolliert den Internet-Bezahldienst Paypal und den neuen US-Vizepräsidenten J.D. Vance. Auf seiner Payroll stehen lokale Größen wie Sebastian Kurz. Thiel hat Geld, Medien und eine Überzeugung: Das alte System aus von allen gewählten Parlamenten, traditionellen Massenmedien und unabhängiger Justiz muss ersetzt werden durch die Herrschaft einer neuen Elite. Thiels Feinde sind die „Hüter der Geheimnisse des Distributed Idea Suppression Complex (DISC) – die Medienorganisationen, die Bürokratie, die Universitäten und die von der Regierung finanzierten NGO´s, die traditionell das öffentliche Gespräch begrenzten“.
Vance und Kurz
Genau diese Feinde verfolgt Donald Trump. Dahinter wartet J.D. Vance in Washington auf seine Chance, so wie Sebastian Kurz in Wien auf seine wartet. Sie haben das Geld und die Tools. Ihre Alliierten am rechten Rand kontrollieren von Deutschland bis Frankreich die Straße und damit den politischen Mob.
Mit Gerhard Karner haben die Tech-Faschisten ihren nützlichen Mann in Wien. Bald wird der Minister erklären, dass man für Trojaner und Straßen-Screening die passende Software brauche. Kaum jemand würde sich wundern, wenn Thiel-Mann Kurz genau das Richtige im Angebot hätte.
Karners Unsinn
Aber, so wird Karner einwenden, ohne Trojaner und Kameras können wir nicht einmal mehr die Schulkinder in ihren Schulen schützen. Das, so könnte sogar Karner wissen, ist Unsinn, aus mehreren Gründen:
- Die organisierten Terroristen spüren NSA und CIA mit ihrer Totalüberwachung der globalen Kommunikation auf. Bei SIGINT – Signal Intelligence – wird ein Kleinstaat wie Österreich auch weiter auf die Großen angewiesen bleiben.
- Das Mittel des Kleinstaats heißt HUMINT – Human Intelligence. Das sind Informanten und verdeckte Ermittler. Das ist die Chance und gleichzeitig die größte Schwäche von Österreichs Nachrichtendienst DSN.
- Die neuen Terroristen sind nicht Teil von geheimen Organisationen und deren verschlüsselter Kommunikation über Messengerdienste. Wie soll man aus Zehntausenden ortsbekannten Sonderlingen die künftigen Amok-Schützen herausfiltern? Oder – und das wäre der nächste Schritt – alle, die auffallen, werden überwacht.
- Man kann – neben dem Ausbau vom HUMINT – nur eines tun: den Zugang zu Waffen abschneiden. Aber dazu sind Neos und ÖVP nicht bereit. Für sie steht Waffenfreiheit über dem Schutz von Schulkindern.
Bablers Tür
Wissen Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, was hier auf uns zukommt? Wissen sie, welche Tür sie gerade aufmachen? Bei den Neos gibt es mit Stefanie Krisper und Nikolaus Scherak zumindest zwei Abgeordnete, die die Gefahr erkannt haben. In der SPÖ ist alles still. Sie verlässt sich auf ihre Justizministerin und auf ein paar Zusagen der ÖVP.
Später einmal, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, weil Kunasek oder Kurz den rechten Sack endgültig zugemacht haben, werden sich ein paar Sozialdemokraten mit ihrem letzten Stehsatz verabschieden: „Wenn wir das gewusst hätten!“
Kommentar ergänzt um 8.20 Uhr.