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Gewinnt Putin?

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Während die Spitzen der EU ihre klare Haltung gegen Putin feiern, bricht ihre Union Stück für Stück weg. Das Hauptopfer des Putin-Angriffs könnte statt der Ukraine die EU selbst werden.

 

Wien, 25. September 2022 | Heute wählt Tirol. Vielleicht habe ich dazu eine wahlentscheidende Information: Ein Freund aus dem Tiroler Oberland hat mir glaubhaft berichtet, dass Toni Mattle sein Eis NICHT wie ein Normaler isst. Damit ist auch der letzte Grund, ÖVP zu wählen, hinfällig.

Heute wählt auch Italien, eine Neofaschistin, wie viele begründet befürchten. In Tirol meinen die meisten, die einen Landeshauptmann bestimmen wollen, dass sie keine Wahl haben, weil das Angebot der ÖVP indiskutabel und das der SPÖ absurd ist. In Italien ist das bereits schlimmer. Da bringt die Faschistin Giorgia Meloni Hoffnung für enttäuschte Wähler. Aber Österreich lässt sich nicht viel Zeit. Eine der schlechtesten Regierungen der Zweiten Republik zerfällt, und Herbert Kickl macht sich bereit.

Sind wir wieder soweit in Österreich und in Europa? In der Ukraine führt der russische Diktator Putin eine Raubkrieg. In Polen und Ungarn zerstören nationalpopulistische Parteien Grundlagen von Rechtsstaat und Demokratie. In Schweden hat die Rechte gerade die Macht übernommen. Wenn Italien als nächstes fällt, kann danach schon wieder Österreich als eines der Pionierländer des neuen Rechtsextremismus an der Reihe sein.

Putins Kolonnen

Mit Parteien wie Fratelli d´Italia, Rassemblement National, Fidesz, Schwedenpartei oder FPÖ regiert erstmals Putin mit. Die halbfaschistischen Parteien sind seine fünften Kolonnen. Sie sind dem russischen Kriegsherren durch Zahlungen und Freundschaftsverträge verbunden. Vor allem aber haben sie mit ihm ein gemeinsames Ziel: die Zerstörung der Europäischen Union.

Ich kann mich noch gut erinnern, was EU, Währungsfonds und Weltbank unternommen haben, um die linke Regierung der Syriza in Athen zu stürzen. Kein Angriff auf Pensionen und kleine Einkommen, der die Anhängerschaft der Linken treffen konnte, wurde ausgelassen. Massenarmut wurde zur entscheidenden Waffe, mit der die Syriza-Regierung niedergekämpft wurde.

„Besorgnis“ statt Alarm

Aber warum bleiben die Alarmglocken diesmal still? Warum sind die Spitzen der EU mit ihrer „Besorgnis“ weit vom angebrachten Alarm entfernt? Darauf gibt es verschiedene Antworten, die alle zur Erklärung beitragen können.

  1. Die konservativen Parteien sind mit von der Partie. Europas Christdemokraten stehen auch diesmal hinter Silvio Berlusconi, der das Regierungsbündnis mit Faschisten-Chefin Giorgia Meloni vorbereitet. In Österreich wird die FPÖ auch wieder die ÖVP brauchen – und diesmal wahrscheinlich billiger bekommen.
  1. Putins fünfte Kolonnen sind auch in erste christdemokratische Parteien eingedrungen. Das Netzwerk rund um den Oligarchen Dmitri Firtasch verbindet die ÖVP in Putins Zone.
  1. Wenn es ums Eingemachte geht, ist auf Rechtsextremisten genauso Verlass wie auf die traditionellen Verteidiger großer Vermögen und großer Ungleichheiten. Konservative von Wien bis Brüssel finden Neofaschisten schlimmstenfalls ärgerlich. Angst haben sie nur vor linken Parteien.
  1. Christdemokratische Staatsparteien wie die ÖVP haben sich inzwischen selbst zu Trägern nationaler, fremdenfeindlicher und antieuropäischer Ressentiments gewandelt. Seit 2017 setzt die ÖVP in Wien lupenreine freiheitliche Politik um – und zeigt seit fast drei Jahren, dass sie dazu nicht einmal die FPÖ braucht.

Das zweite Europa

In immer mehr Staaten finden sich Rechtsextreme und Neofaschisten bereits innerhalb des schwarzen Bogens, der die Außengrenzen des Regierungsbezirks der Rechten zeichnet. Alte, vormals „große“ Koalitionen mit Sozialdemokraten werden immer öfter zur Ausnahme, zu der nur dann Zuflucht genommen wird, wenn weiter rechts nichts geht.

Wenn Italien nach rechts wegbricht, wird zunächst nicht viel passieren. Die Politik bleibt fremdenfeindlich wie unter Salvini. Solange die Volksmeinung fest gegen Putin hält, werden auch erfolgreiche Rechtsextremisten wie Le Pen oder Eric Zemmour in Frankreich blau-gelbe Wimpel hochhalten. 2018 war für Zemmour noch alles klar: „Ich träume von einem französischen Putin.“ 2023 wissen sie, dass das nur über die Wühlarbeit gegen die EU-Sanktionen geht.

Erst langsam wird auch in Brüssel dämmern, dass von Rom und Wien bis Budapest, Warschau und Stockholm ein zweites Europa entsteht. Wenn auch Frankreich fällt, kann es vorbei sein. Deutschland stünde erstmals ohne seine Gründungspartner Frankreich und Italien isoliert in Brüssel. Genau da könnte sich die EU von einem historischen politischen Projekt zu einem Topf, aus dem sich korrupte Rechtsregierungen so lange bedienen, so lange noch etwas da ist, wandeln. Dann hätte Putin den Krieg um die Ukraine vielleicht militärisch verloren, aber den um Europa politisch gewonnen.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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