Das ist ein Unterüberschrift
Das System Kurz hat in fünf Jahren fünf Kanzler verbraucht. Die ehemals staatstragende ÖVP ist heute staatszersetzend. Seit 1987 an der Macht und tief in Korruptionsaffären verstrickt, ist sie nicht mehr in der Lage, zu regieren.
Leitartikel von Thomas Walach
Wien, 14. Oktober 2021 | In der Wiener Hofburg, dem Ausweichquartier des Parlaments, wurde am Donnerstag fast schon heimlich, jedenfalls aber still und leise ÖVP-Chef und Doppelaltkanzler Sebastian Kurz als Parlamentarier angelobt. Er ist ab jetzt auf eine Existenz zurückgeworfen, die er verabscheut: Als einer unter vielen, mit dem „Pöbel” und den “Tieren“, wie sein mutmaßlicher Komplize Thomas Schmid sagen würde.
Kurz‘ Kanzlerschaft hinter lässt einen Trümmerhaufen. Wo steht die Republik heute? Und vor allem: Was kommt auf uns zu?
Im Sommer 2020 sprach Sebastian Kurz über unsere südlichen EU-Partner verächtlich als „Staaten, die in ihren Systemen kaputt sind.” All diese Länder haben heute eine bessere Impfquote als Österreich. Im Sommer 2020 verkündete Kurz, die gesundheitlichen Folge der Coronakrise wären überstanden. Der größte Teil der Toten war danach zu beklagen. Kurz nachdem die Pandemie angeblich überstanden war, folgten neue Lockdowns. Im Sommer 2021 hieß es wieder: „Pandemie gemeistert.“ Am 13. Oktober um 20:20 bezeichnete Alexander Schallenberg die Coronapandemie als große Aufgabe. Keine 30 Minuten später sagte Gernot Blümel: „Die Pandemie ist vorbei.“ Am folgenden Tag sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger im Nationalrat: „Die Pandemie ist nicht vorbei.“ In der schwersten Krise der letzten Jahrzehnte taumelt die maßgebliche politische Kraft im Land orientierungslos nur noch von Umfrage zu frisierter Umfrage.
Österreichische Verhältnisse
Österreich hatte seit 2017 fünf Bundeskanzler. Von „italienischen Verhältnissen“ sollte hierzulande niemand mehr sprechen. Die Phase politischer Instabilität ist eng mit der Person Sebastian Kurz verknüpft. Erst intrigierte der so lange gegen seinen Parteifreund Reinhold Mitterlehner, bis die rot-schwarze Koalition platzte. Dann pokerte er in Sachen Ibiza zu hoch und wurde vom Parlament abgewählt. Die Übergangsregierung von Brigitte Bierlein sprang ein. Kurz kam zurück, doch auch seine zweite Amtszeit währte nicht lang: Wegen Korruptionsverdachts musste er abermals das Feld räumen und seiner Marionette Alexander Schallenberg die Schlüssel zum Kanzleramt übergeben. Es steht zu erwarten, dass auch dessen Kanzlerschaft nicht von langer Dauer sein wird.
Gegen die ÖVP als Organisation, gegen den ehemaligen und den amtierenden Finanzminister (Löger und Blümel), den ehemaligen Vizekanzler (Pröll) und den ehemaligen Justizminister (Brandstetter), gegen den ehemaligen Bundeskanzler (Kurz), gegen den Kabinettschef des Marionettenkanzlers (Bonelli) und gegen einen Großteil der Führungsspitze der Volkspartei wird ermittelt. Man fragt sich, wann – nicht ob – die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Paragraf 278 des Strafgesetzbuchs (Bildung einer kriminellen Vereinigung) einleiten wird.
Das ist nicht nur eine Regierungskrise. Es ist vor allem die Krise einer ehemals staatstragenden und heute staatszersetzenden Partei. Seit 21. Jänner 1987 regiert – vom kurzen Bierlein-Interregnum – abgesehen – die ÖVP. Es ist Zeit, zu gehen. Die Volkspartei braucht einen Erneuerungsprozess. Dem Land zuliebe.
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