Im Standard-Interview zum Fall „Pilnacek“ redet sich Stefan Pfandler, der Chef des niederösterreichischen Landeskriminalamts, um Kopf, Kragen und einige Zigarettenstummel.
Stefan Pfandler war als Chef des Landeskriminalamts nicht vor Ort. Sein Mitarbeiter Hannes Fellner war als Leiter der Pilnacek-Ermittlungen nicht vor Ort. Trotzdem wussten beide schnell, dass Pilnaceks Handy kein Beweismittel war – und „vererbten“ es an Pilnaceks Witwe, die Grazer Gerichtspräsidentin Caroline List. Im Standard-Interview versuchte Pfandler, sein Verhalten zu rechtfertigen.
Pfandler und seine Kriminalpolizisten haben mehrere Probleme.
Problem 1: Suizid mit Verdacht auf Fremdverschulden
Notärztin Dagmar W. führte die erste Leichenbeschau vor Ort durch. Vor der WKStA belastete sie anwesende Polizisten: „Eine Todesursache war für mich nicht erkennbar. Ich sagte zu den anwesenden Polizisten, dass ich eine gerichtliche Obduktion benötige. Ich stieß damit auf massiven Widerstand. Damit meine ich, dass mir von zwei bis drei männlichen Polizisten (ob zivil oder Uniform kann ich nicht mehr sagen) Druck gemacht wurde.“
Pfandler rechtfertigt sich im Standard: „Da gab es Missverständnisse, die leicht aufzuklären sind, und es kann auch nie die Prominenz einer Person entscheidend sein, ob eine Obduktion durchgeführt werden soll oder nicht, sondern die Umstände oder Hinweise auf Fremdverschulden.“
Für die Ärztin ging es aber nie um die Prominenz des Toten. Sie wollte mögliches Fremdverschulden klären – und traf auf Widerstand: „Sie sagten mir, dass ich dazu nicht berechtigt wäre und dass man einen Notarzt holen würde. Ich teilte ihnen mit, dass ich Notärztin bin und gerade ich berechtigt bin eine Obduktion anzuregen.“
Fabian Schmid fragte für den Standard nach: „Für Ihre Kollegin war, genau wie für eigentlich alle Involvierten aus der Polizei, rasch klar, dass es ein Suizid war. Warum?“
“Nichts gegeben”
Mit seiner Antwort machte Pfandler den ersten Fehler: „Die Leiche wird sehr, sehr genau mit der Ärztin begutachtet. Man schaut sich die Kleidung an, sucht nach Verletzungen. Da hat es nichts gegeben, was auf Fremdeinwirkung hindeutet.“
Das steht in Widerspruch zur Aussage der Ärztin: „Ich ließ die Leiche von der Polizei ausziehen und schaute nach Verletzungen. An der Stirn befand sich ein oberflächlicher Kratzer. Auffallend war für mich, dass der gesamte Kopf bis zum Hals tiefblau war. Dabei hat es sich um einen Totenfleck gehandelt, die Totenstarre war noch nicht eingetreten.“ Sie ergänzte: „In dieser Form habe ich das noch nie gesehen“.
Die Staatsanwältin, die den Fall in Krems als Erste bearbeitete, stützte die Aussage der Ärztin: „Frau Dr. W. bestätigte in keinster Weise, dass es eine klare Sache sei, wie es die Polizistin mir gegenüber dargestellt hatte. Dr. W. sagte mir, dass Mag. Pilnacek mit dem Gesicht nach oben und am Rücken im Wasser treibend aufgefunden worden war. Das Gesicht sei auch blau gewesen.“
Wenige Meter neben dem Toten verfasste die Ärztin eine schriftliche Note an die Staatsanwältin: „Sehr geehrte Frau Mag. S., Eine gerichtliche Obduktion bei Hr. Pilnacek Christian ist erforderlich, da ich ein Fremdverschulden nicht ausschließen kann bzw. eine Todesursache für mich nicht feststellbar ist.“
Die Note verschwand im Polizeiakt und kam nie in Krems an.
Problem 2: Obduktion bei klarem Suizid
Pfandler tat sich mit der Erklärung, warum bei einem eindeutigen Suizid wegen eines Tötungsdelikts ermittelt und eine Obduktion angeordnet wurde, sichtlich schwer. Der Standard fragte: „Die StA Krems hat jedenfalls noch am Nachmittag ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung eröffnet.“
Pfandlers Antwort stellte den Ablauf auf den Kopf: „Ja, das ist zwingend mit der Anordnung der Obduktion verbunden.“ Aber warum musste obduziert werden? Pfandler versuchte zu erklären: „Trotzdem haben wir gesagt, wir wollen eine Obduktion, um Zweifel auszuschließen.“
Aber wer hatte Zweifel? Die Antwort auf diese Frage hätte lauten müssen: die Ärztin und damit die einzige medizinisch gebildete Person vor Ort. Damit wäre dem wichtigsten Argument für das spätere „Vererben“ des Handys der Boden entzogen worden.
Probleme 3 + 4: Handy und Laptop
Die größeren Probleme haben Pfandler, Fellner & Co. mit Handy und Laptop. Egal, wie man es dreht – wenn wegen eines Tötungsdelikts ermittelt wird, ist das Handy ein Beweismittel. Aber wer wollte, dass das Handy blitzartig aus den Ermittlungen hinaus „vererbt“ wird? Pfandler erklärt im Standard, es sei „zweifelsfrei, dass das nicht unsere Idee war“.
Inzwischen scheint durch eine gerichtliche Aussage klar, woher die Idee kam: nicht von Karin Wurm und Anna P., sondern von Pfandlers Chef, Bundespolizeidirektor Michael Takacs.
Das Handy wurde schnell abgegeben, der Laptop dafür von Pfandlers Beamten gesucht. Pfandlers Rechtfertigung hat nichts mehr mit den Aufgaben einer Kriminalpolizei zu tun: „Im Zuge der Übergabe von persönlichen Effekten an die Familie kam Tage später die Frage aus dem Familienkreis, wo denn der Laptop sei, den Pilnacek immer bei sich hatte. Da kann ich als Polizei nicht sagen: ´Schaut selbst, wie ihr zu dem Laptop kommt´.“
Die Familie fragt, die Polizei sucht. So geht das in St. Pölten.
Schachtel statt Stummel
Skurril wird es bei einem wichtigen Detail.
Der Standard fragte: „Eine weitere Unklarheit betrifft die Frage nach Zigarettenstummeln. Da sagte Ihre Kollegin zunächst, sie habe Zigarettenstummeln eingesammelt. Dann hieß es, es gebe keine. Was stimmt nun?“
Pfandler versuchte, seine Beamtin zu korrigieren: „Das ist richtig, das ist ein Thema. Dazu hat sich die Kollegin auch schon meines Wissens nach geäußert, dass das ein Irrtum in ihrer Erinnerung war. Sie hat sich eingebildet, Zigarettenstummel gesehen zu haben. Tatsächlich war aber nur eine leere Zigarettenpackung dort und keine Zigarettenstummel.“
Die Kollegin – das ist Kontrollinspektorin Barbara S., die im Gegensatz zu Fellner und Pfandler vor Ort war. Am 4. Juni 2024 hatte sie bei der WKStA unter Wahrheitspflicht ausgesagt: „Ich ging die Einstiegsstelle suchen und fand im Flussbett mehrere Zigarettenstummeln und Schuhabdruckspuren. Dies teilte ich den Kriminalbeamten mit.“
Verwechslungen
Die Zigarettenstummel wurden nie geborgen und nach DNA-Spuren untersucht, die Fußspuren im Flussbett nie dokumentiert. Mit dieser Aussage hatte die leitende Beamtin vor Ort schwere Fehler bei den Ermittlungen zugegeben. Sie war aber die Einzige, die vor Ort war und damit die wichtigste Zeugin gegen die Ärztin und für den behaupteten Selbstmord.
Wenn eine Ermittlerin Zigarettenstummel im Wasser mit einer Zigarettenschachtel am Ufer verwechselt, stellt sich von Spuren bis zur Todesursache eine Frage: Was hat sie möglicherweise noch verwechselt?
Doch woher wusste Pfandler, dass seine Beamtin ihre Aussage korrigiert hatte? Im WKStA-Akt findet sich bis jetzt keine Korrektur ihrer Aussage. Dort sind die Stummel immer noch Stummel.
Wo findet sich die neue Stummel-Aussage? Und wie ist sie zustande gekommen? Gemeinsam mit Pfandler und Takacs hat auch Barbara S. geklagt. Am 6. August ist sie im Wiener Landesgericht für Strafsachen Zeugin im Prozess rund um das Pilnacek-Buch, das auch sie verbieten lassen will.
Link: Standard-Interview mit LKA-Chef Stefan Pfandler
Titelbild: ERNST WEISS / APA / picturedesk.com, GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com, Foto LKA NÖ