Dokumente bringen Kanzler in Bedrängnis
Während sich in der Blümel-Novomatic-Causa Aufregung um kleine Details breitmacht, spitzen sich die Ermittlungen langsam auf den Bundeskanzler zu. In seiner Funktion als Außenminister sollte er der Kopf des kolportierten Spendendeals mit der Novomatic werden.
Wien, 12. Februar 2021 | Gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) wird wegen Untreue, Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch ermittelt. Am Donnerstag gab es deshalb Hausdurchsuchungen an seinem Hauptwohnsitz in Wien und seinem Nebenwohnsitz in Niederösterreich. Doch eigentlich ist die zentrale Figur eine ganz andere: Bundeskanzler und Ex-Außenminister Sebastian Kurz. Das geht aus der Ermittlungsanordnung hervor, die ZackZack vorliegt.
Kurz brauchte dringend Geld für Kanzlerpläne
Der Staatsanwaltschaft sind die Zuständigkeiten von Sebastian Kurz während des Ibiza-Sommers 2017 bestens bekannt: „Sebastian Kurz war unter anderem im Jahr 2017 (…) Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres. Gemäß §2 Bundesministeriengesetz (…) iVm Anlage zu §2 Teil B.1. leg cit umfasste seine Zuständigkeit als Bundesminister auch die „Vermittlung von Rechts- und Amtshilfe“ sowie „Schutz österreichischer Staatsbürger und ihres Vermögens im Ausland und gegenüber dem Ausland“, so die Ermittler in ihrer Anordnung.
Kurz ist im Sommer 2017 natürlicher Ansprechpartner für große Unternehmen und deren Anliegen. Der wahlkämpfende Außenminister hat aber ein größeres Ziel: das Kanzleramt. Um gegen den amtierenden Kanzler Christian Kern (SPÖ) zu bestehen, braucht seine ÖVP Geld – das sie nicht hat. Ohne Geld keine Neuaufstellung der Partei, ohne Neuaufstellung kein türkiser Kanzler. Novomatic-Chef Harald Neumann sind die Finanznöte des ÖVP-Jungstars bestens bekannt.
Er trifft sich deshalb mit seinem Sprecher und Kurz, wie die Staatsanwälte dokumentieren. Neumann erfährt wenig später über seinen Sprecher, wie trist die finanzielle Lage der ÖVP wirklich ist. Die Spenden würden trotz Crowdfunding-Kampagne überschaubar bleiben. Das Projekt droht zu scheitern. Neumann reagiert prompt:
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Neumanns Idee
Als Neumann am 10. Juli 2017 erfährt, dass die italienischen Finanzbehörden 50 bis 60 Millionen Euro Steuernachzahlung wollen, kommt dem Novomatic-Chef eine Idee: unter dem Eindruck des gefährdeten Börsengangs nimmt er Kontakt zu Thomas Schmid, Generalsekretär im Finanzministerium, auf.
Er braucht das Ministerium: Zwischen Österreich und Italien besteht ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Möglichkeit eines Verständigungsverfahrens bei Steuerkonflikten. Neumann will deshalb von Schmid wissen, „ob er oder der Bundesminister für Finanzen, Dr. Schelling, einen Kontakt zum italienischen BMF habe.“ Schmid bejaht dies zwar, aber erst einmal passiert nichts. Zwei Tage später hakt Neumann nach und ersucht bei Blümel um einen Termin mit Sebastian Kurz.
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Blümel meldet sich nur rund drei Stunden später bei Thomas Schmid mit dem Wortlaut „Bitte ruf den Neumann zurück. Tu es für mich :* Danke!“
Aus den Auswertungen der Staatsanwaltschaft ist ersichtlich, dass Blümel auf die Nachricht von Schmid „Bei 40 Mio Steuer-Nachzahlung würde ich mich auch anscheissen J“ nicht weiter reagiert – etwa mit Nachfragen zu der Bemerkung oder dem Hintergrund. Daraus sei abzuleiten, dass Blümel den Hintergrund bereits kennen musste.
Intervention von Kurz als Gegenleistung?
Kurz wurde dann von Blümel über das Neumann-Angebot informiert. Blümel akkordierte das weitere Vorgehen, und zwar noch vor seinem Ersuchen an Schmid, mit Sebastian Kurz.
Kurz sollte, so der Verdacht der Ermittler, im Gegenzug für die Spenden in seiner Funktion als Außenminister bei den Italienern wegen der „drohenden beträchtlichen Steuernachzahlung“ der Novomatic intervenieren.
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Ob Sebastian Kurz in seiner Funktion als Außenminister damals konkrete Handlungsschritte setzte oder plante, ist bislang nicht bekannt – aber entscheidend. Diese Frage steht jetzt im Fokus der Ermittler:
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Dass Neumann der potenzielle Wahlsieg von Kurz nicht ganz egal war, geht aus weiteren Chats hervor. An Blümel richtete er im August Kritik betreffend ÖVP-Kandidatenauswahl: „Sorry für die offenen Worte, aber der Oktober ist zu wichtig!“
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Der damalige Außenminister und jetzige Bundeskanzler Sebastian Kurz ist damit mitten in Ibiza angekommen. Die nächste Hausdurchsuchung könnte bald folgen. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
(wb)
Titelbild: APA Picturedesk