Die ÖVP-Länderchefs rücken der Reihe nach aus, um August Wöginger bei seinem umstrittenen Menschenrechtskonventions-Vorschlag zu unterstützen. Dafür gibt es harsche Kritik.
Wien, 15. November 2022 | Die Europäischen Menschenrechtskonvention sorgt für eine Diskussion in der ÖVP. Nach dem steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) haben am Dienstag auch die ÖVP-Chefs aus Salzburg und dem Burgenland, Wilfried Haslauer und Christian Sagartz, den Vorstoß von Klubobmann August Wöginger für eine Überarbeitung der EMRK unterstützt. Zuvor hatte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Diskussion eigentlich für beendet erklärt.
ÖVP will bei Menschenrechtskonvention “einmal abklopfen”
“Menschenrechtsmaterien sind besonders sensibel, wir müssen behutsam mit ihnen umgehen”, betonte ein Sprecher von Salzburgs Landeshauptmann Haslauer. “Asylgrundsätze sind eindeutig und für jene da, die Asyl brauchen. Wir benötigen aber eine Lösung für Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Asylgrundsätze berufen – ohne aber dass sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben.”
Sagartz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments ist, erklärte: “Niemand möchte die Menschenrechte willkürlich ändern. Aber für mich ist ganz klar – die über 70 Jahre alte Menschenrechtskonvention benötigt ein Update beim Thema Migration und diese Diskussion sollten wir so schnell als möglich starten.” Ähnlich wie in anderen Rechtsbereichen müssen man die Menschenrechtskonvention ins neue Jahrtausend holen, da es seit 1984 keine wesentlichen Anpassungen mehr gegeben habe. “Noch dazu wurden die alten Passagen sehr freizügig ausgelegt, was zu langen Abschiebeprozessen und zu übermäßigen Zuzug geführt hat”, meinte Sagartz.
Der Landesparteiobmann fordert darüber hinaus auch eine Überarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention: “Der ursprüngliche Text der Genfer Flüchtlingskonvention war ausgelegt, unseren unmittelbaren Nachbarn in Not zu helfen. Doch jetzt kommen Menschen von überall nach Europa und wollen Zugang zu unserem hart erarbeiteten Sozialsystem. Das konnte damals niemand vorhersehen.”
Ähnlich hatte sich Drexler in der “Kleinen Zeitung” geäußert. “Ja, er hat recht. Wenn es darum geht, auch die Europäische Menschenrechtskonvention diskutieren zu dürfen”, sagte er zu Wögingers Vorstoß und weiter: “Mir geht es weniger um den Text der EMRK aus dem Jahr 1950. Aber die fortlaufende Weiterinterpretation durch den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann man als ein sich verselbstständigendes Richterrecht sehen. Da stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation.”
Man solle “einmal abklopfen, was in einer zeitgemäßen Textfassung eine Deckung finden würde”, so Drexler. “Möglicherweise braucht es eine Neukodifizierung, um das, was sich auf dem Interpretationsweg ergeben hat, zu bewerten, allenfalls in den Text aufzunehmen oder zu verwerfen. Darüber eine Diskussion zu führen, ist legitim.” Die heutige Asylpraxis sei “eine wirkliche Pervertierung des ursprünglichen Asylgedankens”.
Scharfe Kritik am “Herumhämmern”
Zuvor hatten Verfassungsministerin Edtstadler und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) die Europäische Menschenrechtskonvention als “nicht verhandelbar” bezeichnet. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen begab sich am Montag in diese Debatte: Die EMRK sei eine große Errungenschaft der Menschlichkeit, ein Kompass der Humanität und gehöre zum Grundkonsens der Republik, schrieb er auf Twitter. Diese infrage zu stellen, löse keine Probleme, sondern rüttle an den Grundfesten, auf denen unsere Demokratie ruhe.
Auch die Katholische Aktion Österreich forderte in einer Aussendung am Dienstag alle politisch Verantwortlichen auf, sich gegen ein “Herumhämmern am Fundament der Europäischen Menschenrechtskonvention” zu engagieren.
“Ablenken von eigenem Versagen”
Die SPÖ kritisierte die Aussagen, ebenso wie der Bundespräsident bereits am Montag. “Für die ÖVP geht es immer weiter bergab und jedes Mal, wenn’s schlecht läuft und die Nervosität groß ist, versucht sie als Ablenkungsmanöver mit den Themen Asyl und Migration zu reüssieren”, meinte Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung: “Dass die ÖVP jetzt mit ihrem Latein so am Ende ist, dass sie an den Menschenrechten rüttelt, ist ein neues Ausmaß an Ungeheuerlichkeit. Damit hat die ÖVP eine rote Linie überschritten.”
Es gebe vieles, was es in der Asylpolitik brauche, wie Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen und schnellere Verfahren, so Deutsch weiter: “Weniger Menschenrechte gehören mit Sicherheit nicht dazu.”. Mit den Grünen gebe es deswegen wieder einmal Streit auf offener Bühne. “Türkis-Grün ist nur mehr mit gegenseitigen Blockaden, Regierungsstreit und Korruptionsvorwürfen beschäftigt – Bevölkerung und Wirtschaft bleiben dabei auf der Strecke”, meinte der SPÖ-Bundesgeschäftsführer.
Ein “Ablenken vom eigenen Versagen” in der Migrationspolitik ortet wiederum NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im Vorstoß Wögingers. Die “Blender” der vergangenen Jahre müssten nun einsehen, dass die angeblich geschlossenen Migrationsrouten “offen stehen”. Nötig seien europäische Lösungen, diese habe die ÖVP aber jahrelang “torpediert”. Illegale Routen müssten geschlossen und legale Fluchtwege geöffnet werden, verlangte die NEOS-Chefin bei einer Pressekonferenz.
Überhaupt stellt sich für Meinl-Reisinger die Frage, ob Wöginger bei seiner Ansage vielleicht Gesetze verwechselt habe und statt der EMRK eigentlich die Genfer Flüchtlingskonvention meine. “Die EMRK einschränken zu wollen, halte ich für skurril”, so Meinl-Reisinger.
(bf/apa)
Titelbild: MANUELA SCHWARZL / APA / picturedesk.com ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com Montage